Vor kurzem hatte ich mich mit Schlachtwerk zum Fotoshooting in Offenbach verabredet. Dass es nicht nur beim Shooting blieb, wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Nach erfolgten Aufnahmen und kurzem Plausch zu seinen aktuellen Projekten bot mir Thomas Thöring seine radikal gestrippte Kawasaki W650 Bratstyle zum Test-Ride an. Meine Augen funkelten und ich ließ mich nicht lange bitten. Eine kurze Einweisung, wie das Brat Bike zu starten ist, und los ging‘s.
Weniger ist manchmal mehr – Kawasaki W650 Bratstyle
Getreu dem Motto: “Ich baue das, worauf ich Bock habe.“ verzichtet Schlachtwerk konsequent auf einen E-Starter. Die lässige Kawa W650 lässt sich ausnahmslos nur mit Muskelkraft zum Leben erwecken.
„Stelle Dich am besten auf die linke Fußraste und tritt vorsichtig den Kickstarter herunter, bis Du den oberen Totpunkt überwunden hast. Wieder hoch und dann einmal richtig durchtreten und sie läuft.“, erklärt mir Thomas die Startprozedur.
Ok, Zündung an, aufsteigen, den rechten Fuß auf den Kickstarter und langsam an den Totpunkt herantasten. Und was soll ich sagen. Nach meinem zweiten Versuch hatte ich es heraus und die Kawasaki sprang mit dem ersten Kick sofort an. Und, wer es einmal probiert hat, kann sich einen einfachen Knopfdruck kaum mehr vorstellen. Man fühlt sich in Zeiten einer Yamaha XT 500 oder RT 360 zurückversetzt, nur ohne Blessuren am Knöchel halt. Geil!
Die schöne Leichtigkeit des Seins
Schlachtwerks rote Kawasaki W650 Bratstyle ist ultra-leicht und ultra-direkt. Seitdem der Bikebuilder in mehreren Schritten den Umbau der Kawasaki im Winter abschloss, bringt die Maschine heute gerade einmal federleichte 160 Kilogramm auf die Waage, denn bei Schlachtwerk ist Name Programm. Alles fliegt raus, was die Waage belastet.
Konsequent ging Thomas auf die Jagd nach jedem überflüssigen Pfund. Er fand es und eliminierte jeden unnützen Ballast durch Verzicht oder leichtere Teile aus eigener Fertigung oder von erstklassigen Herstellern.
„Ich habe fünf Jahre an der Maschine gebaut. Was Du siehst ist die Ausbaustufe 4. Diese W ist für mich eine Art ‚Testlabor‘, um zu sehen wie weit ich bei meinen anderen Projekten gehen kann. Vordergründiges Ziel ist für mich immer aber ‚Fahrbarkeit‘.“, erklärt er mir seine Vision hinter dem Custom Bike.
Ich fahre vom Mainufer aus los und bemerke sofort, dass die Schlachtwerk W650 jede leichteste Bewegung am Gasgriff sofort und konsequent mit Vortrieb quittiert. Der eh schon durchzugstarke Motor bekam vom Offenbacher Tuner noch einmal fünf PS mehr spendiert. Die aus Edelstahl-Segmenten gefertigte Schlachtwerk-Auspuffanlage macht es möglich. Und ich spüre wie brachial die Maschine losstürmt, sobald ich die Gasschieber öffne. Sie macht einfach süchtig, ist völlig unkompliziert im Handling und eine echte „Sau“ an jeder Ampel. So schaute der Fahrer eines „Premium-Sportwagens“ aus Zuffenhausen etwas baff.
Was die Maschine tatsächlich im Sprint zu leisten vermag, hatte Thomas zuletzt beim Café Racer Festival in Linas-Montlhéry grandios unter Beweis gestellt. Ich weiß jetzt zumindest wie sich ein Junkie auf einem coolen Trip fühlen muss. „I believe I can fly!“ Erwähnte ich schon, dass die Schlachtwerk Kawa echt süchtig macht?
Die Schlachtwerk Philosophie #1 – keine „Fremd-DNA“
Thomas lässt sich bei seinen Umbauten nur ungern auf einen bestimmten Stil seiner Custom Bikes festlegen. Ob seine W650 eher einem Tracker- oder Bratstyle folgt, ist ihm relativ wurscht. Wichtig ist, dass klassische Linien erhalten bleiben und keine „Fremd-DNA“ verbaut wird.
Insofern verbaute Schlachtwerk einen kleineren Tank von einer Kawasaki Z 200, der eine klassische Zweifarbenlackierung aus den 70er Jahren bekam und so zu einem zentralen Blickfang wird. Die Schwinge stammt von einer Kawasaki KDX 400 und spart drei Kilogramm Gewicht ein.
Die Schlachtwerk Philosophie #2 – Leicht muss sie sein
Zu den weiteren gewichtssparenden Maßnahmen der Custom-Schmiede gehört die Umstellung auf eine Lukas-Scheibenbremse hinten, die ungefähr fünf lästige Kilos abnimmt. Des Weiteren rüstete Thomas seine Kawasaki W650 auf Morad-Felgen mit KTM-Naben um. Die Speichenfelgen wurden so abgedichtet, dass sie jetzt mit schlauchlosen Pirelli MT 60 Reifen auskommen und so noch einmal 1,5 Kg sparen. Das Vorderrad läuft übrigens nach diesen Eingriffen auf einem 18 Zoll Format und ist mit einer wirkungsvollen Vier-Kolben-Festsattel Bremse mit ProBrake Bremsscheibe ausgestattet, die es exklusiv bei Schlachtwerk gibt.
Wie erwähnt, flog der Anlasser nebst nun nicht mehr benötigten weiteren Teilen ohne Zögern raus. Ersparnis: neun Kilogramm. Die Doppelauspuffanlage passt ebenfalls nicht zum Diätprogramm von Schlachtwerk. Also baute Thomas in mehreren Tagen eine martialisch-schöne sowie leichte 2-in-1 Anlage aus hochwertigem Edelstahl, die auf dem Prüfstand +5 PS mehr Leistung bringt.
Zur Verbesserung des Handlings kommen am Lenkkopf LSL-Brücken zum Einsatz, die zu einem geringeren Versatz führen. Anatomisch perfekt sitzt darauf der LSL-Lenker mit geänderten Armaturen und Miniatur-Spiegel.
Kompromisslos geriet auch das schicke Sitzpolster, welches auf einer Kohlefasergrundplatte ruht, von Tommy in Form gebracht und von einem ortsansässigen Sattler mit gegerbter Kuhhaut bezogen wurde. Darunter verschwand unsichtbar die gesamte Elektrik der Maschine.
Was ist machbar, wo liegen die Grenzen? Ich denke, mit dieser Fahrmaschine hat Thomas Thöring eindrucksvoll gezeigt, welches Potenzial in der W650 steckt und wie radikal sie sich umbauen lässt.
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