Nachdem sich Mitte der 1980er Jahre die Ära der luftgekühlten Vierzylinder-Mitteklasse- “Hitzköpfe“ aufgrund thermischer Belastungen und dem Leistungswettlauf dem Ende neigte, reagierte ausgerechnet der kleinste der vier japanischen Motorradhersteller am schnellsten. Mit einem Paukenschlag begründete Kawasaki 1984 unter iberischer Sonne mit der flüssigkeitsgekühlten GPZ 600 R (Typ ZX600A) die neue Kategorie extrem sportlicher Mittelklassemotorräder, der „600er Supersportler“.
Olá! Auf dem spanischen Rennkurs Circuito de Jarama präsentierten Kawasaki Ende 1984 zusammen mit der KLR 600E (Enduro mit E-Starter), der GPZ 750R (hubraumreduziertes 900R-Derivat) und dem Softchopper LTD 450 (mit halbiertem 900R-Motor) den aus aller Welt angereisten Motorrad-Journalisten ihre seit knapp zwei Jahren entwickelte neue Mid–Size-Sprinterin, die seinerzeit mit jeder Menge tollen technischen Features aus der Big-Bike-Liga aufwartete.
Mit dabei war kein geringerer als der ehemalige südafrikanische KAWASAKI GP-Pilot Kork Ballington, der für die englischsprachigen Teilnehmer auf dem Rennkurs die Ideallinie vorgab. Im Laufe der Testfahrten stach die GPZ 600 R auf dem Rennkurs ihre große Schwester mit dreiviertel Liter Hubraum und 17 PS höherer Leistung aufgrund ihrer Handlichkeit und ihres geringeren Gewichts locker aus.
Neuer Antrieb in Kawasakis Mittelklasse
Der GPZ 600R Motor war ein neu gezeichneter, flüssigkeitsgekühlter Reihenvierzylinder mit zwei obenliegenden, kettengetriebenen Nockenwellen und vier Ventilen pro Brennraum. Mit einem Bohrung-Hub-Verhältnis von 60 mm x 52,4 mm entsprach er einer kurzhubigen Auslegung. Das Aggregat mit 592 ccm und einer Verdichtung von 11,0 : 1 verfügte über eine seilzugbetätigte Mehrscheiben-Kupplung im Ölbad, welche die Kraft über ein gut zu schaltendes 6-Gang-Getriebe via O-Ring-Kette ans Hinterrad weiterleitete.
Der mit vier 32 mm Keihin CVK – Vergaser ausgestattete Triebling stemmte ein Drehmoment von 52 Nm bei 9.000 U/min auf die Kurbelwelle, die Spitzenleistung betrug 75 PS bei 10.500 U/min. Das entsprach einer Literleistung von 127 PS, ein sensationeller Wert für die damalige Zeit.
Die Leistung reichte für den neuen Top-Speed-Klassenbestwert von 217 km/h mit liegendem Fahrer und 204 km/h Höchstgeschwindigkeit bei sitzendem „Treiber“. Von 0 auf 100 km/h vergingen gerade einmal 4,2 Sekunden, vor nicht allzu langer Zeit Bestwerte von Big-Bikes mit 1000 ccm!
In Akashi hatte man ganze Arbeit geleistet, die Mitbewerber waren „geplättet“. Die GPZ 600 R verbrauchte im Fahrbetrieb zwischen 5,6 und 7,5 Liter Normalbenzin auf 100 km. Neben 18 Litern Benzin zählten noch 3,5 Liter Öl in Ölwanne und separatem Ölkühler sowie 2,5 Liter Kühlflüssigkeit in Motor und Wasserkühler zu den Füllmengen. Daraus ergab sich ein Gewicht von 217 kg fahrfertig.
1989 liefen in Akashi bereits die Nachfolgerin GPX 600 R und die bekannte GPZ 600 R parallel vom Band. Die Besonderheit bestand in der Tatsache, dass die letzten Baureihen GPZ 600 R mit dem weiterentwickelten, stärkeren Motor der GPX ausgestattet war und nun nominell 85 PS leisten sollte. In der Praxis fiel der Unterschied aber nicht so sehr ins Gewicht, da man die Vergaser, den Luftfilter und die Abgasanlage des alten Modells noch mit verbaute.
Rahmen und Fahrwerk der Kawasaki GPZ 600 R
Das Fahrwerkssetup bestand aus einem Doppelschleifen-Stahlrohrrahmen mit abschraubbaren Unterzügen, an dem eine nadelgelagerte UNI-TRAK-Schwinge mit Mono-Federbein und eine ölgedämpften 37 mm Telegabel in Rillenkugellagern montiert war. Neben einer Luftunterstützung der KAYABA-Federelemente vorn und hinten gab es die mit dem bekannten ANTI-DIVE-System ausgerüstete Tele-Gabel mit AVDS. Das von der GPZ 750 R/900 R verbaute Automatic Variable Damping System sollte in Verbindung mit den verstellbaren Antidive-Regulatoren an den Tauchrohren nicht nur das starke Bremsnicken verhindern, es sorgte für eine gewisse Druckstufenprogression in der Vorderradfederung.
So standen den Federelementen vorne 140 mm und hinten 130 mm Arbeitsweg zum Ausbügeln von Unebenheiten zur Verfügung. Mit den beiden 16-Zoll-Rädern und 100/90-16 bzw. 130/90-16-Gummis der Marke Dunlop K 825, einem Radstand von 1430 mm, dem kurzen Nachlauf von 97 mm und dem steilen Lenkkopfwinkel von 63° war hier eines der agilsten Mittelklasse-Motorrädern unterwegs.
Wer jetzt allerdings einen nervösen Geradeauslauf oder gar Hochgeschwindigkeitspendeln erwartete, wurde äußerst angenehm überrascht. Selten war eine Grundabstimmung im Fahrwerksbereich so gut gelungen und bei einem möglichen Schräglagenwinkel von 51° setzten entweder die Reifen mangels Grip oder der Fahrer mangels Mut die Grenzen.
Im Zaum gehalten wurde das Temperamentsbündel mit einer Dreischeiben-Bremsanlage mit 270 mm Durchmesser vorne und hinten jeweils mit Einkolben-Schwimmsättel, die Anlage war trotz ihrer einfachen Grundkonstruktion über jeden Zweifel erhaben. Weil das Gesamtkonzept aus feurigem Motor und knackigem Fahrwerk so gut gelungen war, verkaufte sich die Maschine von Anfang an sehr gut und hatte eine große Fangemeinde, die beim Kauf seinerzeit einen Listenpreis von 10.590 DM bezahlen durften.
GPZ 600 R Farbkombinationen
Die ersten GPZ 600 R Modelle wurden in der Farbkombination Rot (Firecracker Red)/Silber (Galaxy Silver Metallic)/Schwarz (Ebony Black) mit schwarzer Tankbeschriftung, rot-weißem Kanzelwangen-Decal und rotem Schriftzug am hinteren Sitzbankrahmen ausgeliefert.
Danach folgte eine Version in Ebony Black mit rot-goldener Beklebung und auch eine frühe Version in Rot/Blau/Weiß mit weiß-rotem Aufkleber an der Kanzel (alternativ weißem „Ninja“-Schriftzug) wurde aufgelegt. Die Räder waren durchgehend schwarz lackiert. Spätere Modelle von 1987/88 erschienen in auch in Blau/Weiß/Rot und in Weiß/Dunkelblau/Rot mit weiß lackierten Felgen.
Die Stärken und die Schwächen der 600er GPZ
Der Motor erwies sich bei pfleglicher Behandlung durch seine solide Konstruktion als zuverlässiger Geselle, der, entgegen ersten Vermutungen, auch für höhere Laufleistung gut war, hatte aber oft Probleme mit den Vergasern, speziell nach längerer Standzeit. Das Fahrwerk ist mit seinen verstellbaren KAYABA-Elementen auf der Höhe seiner Zeit (wenn auch das hintere Federbein als zu hart abgestimmt empfunden wurde), mit heutigen 600er-Geläufen aber nicht mehr vergleichbar.
Zur weiteren Optimierung bei Reifen, Lagern und Federelementen kann zur Umrüstung auf Bridgestone Battlax BT 45, alternativ auf Metzeler- oder Pirelli-Gummis und dem Einbau von nachstellbaren Kegelrollen-Lagern statt der billigeren Rillenkugellager im Lenkkopf geraten werden.
Bei der Vorderradgabel hilft der Wechsel auf progressive Federn mit anderem Gabelöl und ein gut gewartetes Anti-Dive-System, hinten tut ein YSS-Federbein gute Dienste, wenn die WILBERS-Variante zu hochpreisig ist.
Auch die Auspuffanlage verdient einen genaueren Blick: neben Rostnestern im Krümmerbereich neigen auch die Endschalldämpfer bei schlechter Pflege zur Selbstauflösung durch „inneren Blätterteig“ (Rütteltest), daher wurden oft 4-in-1- Zubehör-Anlagen z.B. von MOTAD, LASER oder DEVIL angebaut.
Der Markt für die GPZ 600 R
In der Fahrzeug-Bestandsliste des KBA in Flensburg sind von Kawasakis Mittelklasse-Sportlerin noch 384 Stück zugelassen (Stand Januar 2020). Die GPZ 600 R wird also in unserem Straßenbild selten, Fans und Liebhaber sollten sich nach einer Maschine im Originalzustand umschauen, die Ersatzteilversorgung ist noch gut durch Schlachtmaschinen und Nachbauteile, bzw. Gleichteile dank des damaligen Baukastensystems bei Kawasaki (Cockpit-Armaturen, Vergaser, Teile der Bremsanlage).
Die für eine Komplettrestaurierung nötigen Decals zur originalgetreuen Beklebung werden in hoher Qualität von einigen Herstellern aus dem In- und Ausland auf den bekannten Internet-Verkaufsplattformen angeboten, ebenso finden sich dort gebrauchte Ersatzteile. Gut gepflegte Exemplare im Zustand 2 und besser stehen nach einer Bewertung von classic-analytics aus Bochum bei mindestens 2.200,€ als Richtwert, verschlissene Maschinen, die eine sinnvolle Basis für mögliche Restaurierungen darstellen, werden mit 600 € veranschlagt.
Hallo!
Schöner Bericht über die erste „Supersport“ 600er.
Zu den Verbesserungen: ich hatte meine 1990er GPZ mit BT45 bereift, der zunächst überhaupt nicht funktioniert hat (dies hatte auch die hotline von Bridgestone zugegeben, dass dies vereinzelt auftritt). Der Geradeauslauf fühlte sich an wie auf Eiern, ohne dass wirklich eine Instabilität aufgetreten war. Wie auch oben empfohlen hat eine Umstellung auf spielfreie Lager (Lenkkopf, Schwinge, Umlenkung) von Emil Schwarz das Fahrwerk enorm stabilisiert. Ursächlich für das seltsame Fahrverhalten waren zu viel Toleranzen in der Schwingenlagerung. Die Lager von Schwarz sind generell eine Empfehlung für alle älteren Moppeds. Ein anderes Federbein – bei mir damals Wilbers – ist ein Muss, das Original ist wirklich bockelhart. Der Austausch der Gabelfedern hat dagegen kaum etwas bewirkt. Das Anti Dive hatte ich still gelegt, hat aber auch nicht viel geändert im Sinne eines besseren Druckpunkts. Mit all diesen Maßnahmen war das Fahrwerk tadellos, stabil mit genügend Komfort. Um dem schwachen Durchzug auf die Sprünge zu helfen, wurde ein kleineres Ritzel montiert. Trotzdem habe ich mein Schätzchen 2014 nach 16 Jahren verkauft und mit eine schicke blaue R1 RN09 zugelegt.
Hallo Henning,
ja die GPZ 600 R ist nach einem Fahrwerkstuning noch geschmeidiger auf dem Asphalt unterwegs. Bei sehr kopflastigen Bikes funktioniert der BT 45 manchmal nicht so gut, entweder bildet er Sägezähne (an der GPZ 750R/900R) oder wenn an der 600R die Gabel mit zu viel Luft beaufschlagt ist und das Moped vorne wie hinten zu hart unterwegs ist, fühlt sich´s eirig an.
An meiner 750R ist das Anti-Dive trotz Wirth-Federn und anderem Gabelöl eine echte Unterstützung, hier empfiehlt sich ein Gabelservice mit Auseinanderbau der Anti-DIve-Zylinder, da diese meist durch ältere Bremsflüssigkeit zugekniestert sind. Wenn die wieder nach einer „Bäderkur in WD 40“ gangbar gemacht, ausgeblasen und mit neuen Dichtringen versehen sind, kennst Du Dein Moped im positiven Sinn nicht mehr wieder.
Bikergruß und eine schöne Motorradsaison
Frank Colling