Was machst Du mit 100.000 DM?
Mein Kumpel Stefan nahm das damals als Grundstock für ein Einfamilienhaus im „westlichsten Westdeutschland“ an der holländischen Grenze. Mein ehemaliger Nachbar Jörg gründete mit dem Geld nach seinem Studium eine Firma, irgendetwas mit Softwareentwicklung für Steuerberater…ja ein weites Feld. Weniger vernunftorientierte Menschen kauften davon gebrauchte Sportwagen italienischer Herkunft und die ganz „Sorglosen mit Benzin im Blut“ bestellten sich bei Honda eins von 300 jemals gefertigten Exemplaren der Honda NR 750.
Der japanische Oberhammer stammte in direkter Linie von einem waschechten GP-Renner aus den frühen 80er-Jahren ab und war seinerzeit ein „UFO auf zwei Rädern“, für das eigens bei Honda handverlesene Servicetechniker in Kleinstgruppen intensiv ausgebildet wurden.
Prolog – oder: Die Story hinter der NR 750 Story
Ende 1978 wurde auf Anordnung von Soichiro Honda höchstpersönlich in der HRC (Honda Racing Company) eine Task Force um Toshimitsu Yoshimura zusammengestellt, um in der 500-cc-GP-Klasse ein konkurrenzfähiges Renngerät mit 4-Takt-Motor auf die Slicks zu stellen. Laut Soichiro Honda hatten diese „schrecklichen 2-Takt-Kreischmotoren den technischen Anspruch von Bambus-Rohren“.
Leistungsmäßig waren die 500-ccm–Maschinen der Mitrivalen Suzuki und Yamaha irgendwo zwischen 115 und 120 PS bei einem fahrfertigen Gewicht von 150 – 170 Kilogramm verortet. Nennenswertes Drehmoment gab es nur in einem sehr schmalen Drehzahlband ab 15.000 U/min und darüber und knapp 1.500 bis 2.000 Touren später brach die Leistungskurve auch schon wieder ein…Zweitaktrakete eben.
Keine Lust auf „Bambus“ – straffe Vorgaben an die Honda NR 750
Es war für Soichiro Honda eine Frage der Ehre, diesen „Zwiebacksägen“ einen gestandenen, leistungsstarken und standfesten Viertaktmotor entgegenzusetzen, koste es, was es wolle. So hatten die Mannen um Yoshimura San grünes Licht und alle “künstlerischen Freiheiten“ im Research & Development Center in Asaka. Als Spitzenleistung peilte man 130 PS bei ca. 23.000 U/min an, um leistungsmäßig konkurrenzfähig zu sein.
Auf Basis der bisherigen Serientechnologie war man bei Vierzylindermotoren klassischer Bauart in einer Sackgasse, da neben geringem Gewicht eine möglichst kleine Stirnfläche der Rennmaschine mit im Lastenheft verankert war. Hinzu kam noch eine möglichst wartungsfreundliche Grundkonstruktion ohne zu viele innere Ketten und Spannvorrichtungen. Am Ende der ganzen Planung entstand ein V4-DOHC-Motor, dessen Nockenwellen mit einer Zahnradkaskade angetrieben wurde und um einen möglichst hohen Gasdurchsatz zu erzielen, mussten 8 (!)Ventile pro Zylinder den Gaswechsel steuern. Das wiederum ging nicht mit zylindrischen Kolben, also ging der Weg zum Ovalkolben-Motor mit Doppelpleuel; eine absolute technische Herausforderung an Werkstoffgüte, an Fertigungsqualität sowie an die Werkstoffauswahl.
Die Kolben wurden aus Aluminium geschmiedet, für die Pleuel nahm man Titan. Anfänglich gab es noch große Probleme beim Design der Kolbenringe, die Frage ob einteilig oder zweiteilig im „Spazierstock-Design“ stand im Raum. Man entschied sich zum Schluss doch für einen einteiligen Kolbenring, der eine bessere Haltespannung aufbaute und auf einem eigens neu dafür gebauten Werkzeug hergestellt wurde, da die damalige NC-Fräs-Technik noch zu ungenau war. Wegen der zu erwartenden hohen Drehzahlen und der damit verbundenen hohen thermischen Belastung mussten große Wasserkühler den Wärmehaushalt regulieren. Diese mussten seitlich hinter die Verkleidung, um die Stirnfläche des Racers klein zu halten.
Getauft wurde das Kind auf den Namen NR 500. Nach einigen Prüfstandsläufen lag man leistungsmäßig um 100-110 PS bei 16.000 U/min mit dem 0X genannten Motor.
Ovalkolben-Premiere in England mit der NR 500
Im August 1979 starteten die beiden Piloten Mick Grant und Takazumi Katayama beim britischen 500-cc-GP in Silverstone mit niederschmetterndem Gesamtresultat: Grant stürzte nach der ersten Kurve, fiel aus und Katayama schied nach einigen Runden mit Motorproblemen ebenfalls aus. Den Männern um Yoshimura San standen die Tränen der Wut und Enttäuschung in den Augen angesichts der vielen durchgearbeiteten Nächte und der bis dahin gelösten Detailprobleme.
Beim darauffolgenden GP-Lauf in Frankreich konnten sich beide Piloten auf ihren NR 500 noch nicht einmal für das Rennen qualifizieren. Es war für die Truppe zum Verzweifeln. Die technischen Probleme betrafen in erster Linie die Zahnradkaskaden zum Nockenwellenantrieb, hier waren aufgrund der hohen Drehzahlen die Steuerzeiten nicht mehr korrekt eingehalten worden, was zu Leistungsverlust und zu Motorschäden führte.
Gewichtige Problemzone
Eine Untersetzung in der Kaskade zur Reduzierung der Rotationsgeschwindigkeit und einige Gummidämpfer-Elemente lösten die Probleme und in den Jahren 1982 und 1983 war man mit den überarbeiteten Aggregaten bei 135 PS (Motor 2X) und 130 PS (Motor 3X) endlich konkurrenzfähig, obschon es nie zu einem Grand-Prix-Sieg reichte. Das Konzept war wegen des Motors trotz der Verwendung von Aluminium, Titan und vielen Magnesiumteilen 20 kg zu schwer im Vergleich zu den „Bambus-Rohren“. Ihrerseits verwendeten Suzuki und Yamaha die edlen Werkstoffe zur Gewichtsreduktion in ihren GP-Rennern, was den Gewichtsvorteil wieder bei den Zweitaktern landen ließ.
1981 gewann Kengo Kiyama (mit dem Motor 2X) jedoch das prestigeträchtige Heimrennen „500 Kilometer von Suzuka“. Als schwachen Trost deklassierte man so die zweitaktende Konkurrenz auf der großen Distanz vor heimischem Publikum und stellte die Mitbewerber in den Senkel. Außerdem hatte man jetzt eine Blaupause für zukünftige Rennmaschinen mit V4-Motoren in der Schublade.
Erfahrungen für die Honda NR 750 Kleinserie
Die mit der NR 500 gesammelten Erkenntnisse und Neuentwicklungen sollten bei HONDA trotz der relativen Erfolglosigkeit des Konzeptes jedoch nicht für immer in der Schublade verschwinden.
Zunächst profitierte der Serienbau von den Erfahrungen mit der Kaskadensteuerung der 4 Nockenwellen. Bei der HONDA VFR 750 F (RC 24) kam dieses technische Schmankerl ab 1985 zum Einsatz und bewies bei den hohen Laufleistungen der Motoren Langlebigkeit und Präzision dieser Art Nockenwellensteuerung.
1987 wurde noch einmal in der HRC (Honda Racing Company) ein 750-cc-Rennprototyp für Langstreckenrennen auf die Beine gestellt, der alle Kinderkrankheiten des alten NR 500-Konzepts hinter sich ließ und bei Tests und im Rennen überzeugte.
Die RC 40 war der Oberhammer in Kleinserie
Im Herbst 1991 stellte Honda dann die NR 750 (RC 40) der verblüfften Weltöffentlichkeit vor: wassergekühlter V-4-Ovalkolbenmotor in 90° Zylinderbank-Winkel, 8 Ventile im 29° Winkel pro Zylinder mit Doppelzündung über je zwei 8 mm Zündkerzen pro Doppelkolben-Brennraum…(eigentlich ein V8-Motor!). Die Fachwelt war auch ob der technischen Detaillösungen in einigen Teilbereichen erst sprachlos und dann begeistert. Spektakulär waren in dem Zusammenhang nicht einmal die reinen Leistungsdaten mit 125 PS bei knapp 16.000 U/min und der schon publizierte Kaufpreis von 100.000 DM.
High-Tech auf zwei Rädern
Kenner und Technik-Gourmets schnalzten bei der Honda NR 750 (RC 40) über die Alu-Schmiede-Doppelkolben mit je 8 Ventilen pro Brennraum, die Titan-Doppelpleuel und das bequem herausziehbare 6-Gang-Kasettengetriebe ebenso mit der Zunge wie über die Anti-Hopping-Kupplung. Diese pufferte beim Herunterschalten das Rückdrehmoment im Schiebebetrieb des Motors ab. Weitere technische Leckerbissen der NR 750 waren die mikroprozessor-gesteuerten Baugruppen für Gemischaufbereitung (PGM-FI) und Zündung (PGM-IG), die ihre Bordspannung durch einen neu entwickelten, leichten aber leistungsstarken Generator mit Neodym-Ferrit-Boron-Magneten erhielten. Dieser versorgte also die kennfeldgesteuerten Elemente der Saugrohr-Einpritzanlage und der Doppelzündung.
Die Honda NR 750 trumpfte als fahraktiver Supersportler auf
Wer jetzt aber eine nur im schmalen Grenzbereich zu bewegende waschechte Rennreplika erwartete, wurde „positiv enttäuscht“. Die sehr fahraktive Supersport-Straßenmaschine ging bereits ab Standgasdrehzahl ruckfrei, drehmomentstark und fulminant nach vorn.
Dank der kennfeldgestützten Motorsteuerung stand also immer ein Optimum an Leistung in Anlehnung an Drosselklappenstellung, Drehzahl, Temperatur und Luftdruck zur Verfügung und man hatte die Möglichkeit, die Kennfelder zu verändern (je nach Einsatzzweck). Kraft stand also in jeder „Lebenslage“ mehr als genug zur Verfügung, um den fahrfertig 222 Kilogramm schweren Boliden zu beschleunigen. Hinzu kam die außergewöhnliche Klangkulisse des wassergekühlten Kraftpakets. Ab 12.000 U/min entwickelte der Ovalkolbenmotor ein turbinenhaftes, heulendes Singen, das einem für immer im Gedächtnis blieb.
MOTORRAD-Tester Werner (Mini) Koch beschrieb die Honda NR 750 (RC 40) nach Fahreindrücken 1991 auf dem französischen Racetrack in Le Castellet als
„genialen Kompromiss zwischen der puren Sportlichkeit einer RC 30 und dem ruhigen Fahrverhalten einer Straßenmaschine“.
Zu gut verständlich, dass Honda zur Wartung von Kundenmaschinen handverlesene Zweiradmechaniker in Kleingruppen via Intensivseminaren zu absoluten Spezialisten für die RC 40 ausbildete. Schließlich war der damalige Kaufpreis kein Pappenstiel und gemäß Hausphilosophie hatte der Kunde Anspruch auf die bestmögliche Betreuung für das bestmögliche Motorrad.
Bei einer Fertigungsauflage von 300 Maschinen weltweit ist eine Besprechung der Marktsituation eh obsolet, wer eine Honda RC 40 im Fuhrpark hat, ist nicht nur ob der Fahreindrücke zu beneiden…
Technische Daten Honda NR 750 (RC 40)
Motor
- Typ: 90-Grad V4-Viertaktmotor mit Oval-Kolben, flüssigkeitsgekühlt,
- Ventilsteuerung: DOHC, 32 V
- Hubraum: 747,5 ccm
- Verdichtung: 11,7:1
- Max Leistung: 125 PS bei 14.000 U/min
- Max Drehmoment: 71,0 Nm bei 11.500 U/min
- Gemischaufbereitung: Elektronische Benzineinspritzung mit 8 x Ø 30 mm Drosselklappen
- Kupplung: Mehrscheiben Ölbadkupplung, hydraulisch betätigt
- Getriebe: 6-Gang
- Kraftübertragung: Kette
Fahrwerk
- Rahmen: Aluminium Brückenrahmen
- Dämpfung vorne: Upside-down Gabel, 45 mm Standrohre, komplett einstellbar; Federweg 120 mm
- Dämpfung hinten: Zentralfederbein, komplett einstellbar, Federweg 120 mm
- Bereifung vorne: 3.50 x 16″ , 130/70 ZR 16, hinten: 5.50 x 17″ , 180/55 ZR 17
- Bremsen vorne: 310 mm Doppelscheibenbremse mit 4-Kolben Bremssätteln, hinten: 220 mm Scheibenbremse mit 2-Kolben Bremssattel
Maße und Gewichte
- Radstand: 1435 mm
- Sitzhöhe: 785 mm
- Trockengewicht: 222 kg
- Tankinhalt: 17,0 Liter
- Höchstgeschwindigkeit: 255 km/h
Sonstiges
- Farben: Rot
- Neupreis 1991: 100.000 DM
Ich habe so eine NR mit über 50 tausend Kilometern ohne nennenswerte Störung. mit 30tausend wurde der Moror zum Revidieren auf gemacht — das wäre nicht nötig gewesen, keine Verschleissspuren – obwohl ich 22 Tage auf der Rennpiste heizen war.
Ich fahre meine NR immer noch sporadiscch über die Pässe und habe Spass.