Die neue Kawasaki Versys-X 300 gehört nicht zu den Motorrädern, denen man den kleinen Hubraum auf den ersten Blick ansieht. Die erste Reiseenduro der unteren Mittelklasse macht für 5.795 Euro mit ausgewachsenen Dimensionen richtig was her – und das nicht nur beim Anschauen, sondern auch beim Aufsitzen: Mit einem großzügige Dreieck aus Sitzbank, Lenker und Fußrasten erfüllt die Kawasakis Versys-X 300 durchaus gehobene Ansprüche und lässt selbst lange Kerle eine lässige Position in der tiefen Sitzmulde finden, mit entspannten Kniewinkeln und aufrechtem Oberkörper sogar auf Dauer.
Zur tourentauglichen Sitzposition des Neuzugangs gesellt sich ein guter Schutz vor Wind und Wetter hinter der nicht einstellbaren Scheibe. Einzig das brettharte Polster hält Reiselustige von Mammutetappen ab. Unter der Scheibe fällt der Blick auf ein gnadenlos funktionales, prima ablesbares Instrumentarium, das neben dem zentralen Analog-Drehzahlmesser eine Ganganzeige aufweist.
Aus der Ninja 300 abgeleitete Zweizylindermotor
Der aus der Ninja 300 abgeleitete Reihenzweizylinder gibt sich überraschend elastisch: Der Vierventil-Motor mit einem Hubraum von nur 296 Kubikzentimeter rollt ohne zu Mucken gemütlich im sechsten Gang durchs Dorf und nimmt nach dem Abbiegen im dritten Gang fast aus dem Stand flüssig und ruckellos wieder Fahrt auf. Hier macht sich die gegenüber der Ninja deutlich kürzere Endübersetzung der Kawasakis Versys-X 300 bezahlt, die einen unkomplizierten Charakter mit leichtester Fahrbarkeit fördert. In der Praxis braucht man die ersten drei Gänge außer zum Anfahren kaum.
Andererseits ist aber auch klar: Soll es vorwärtsgehen, muss der 300er beansprucht werden. Das legen allein schon die fünfstelligen Nenndrehzahlen für Leistung und Drehmoment nahe. 40 PS Maximalleistung bei 11.500 Touren und knapp 26 Newtonmeter bei 10.000 U/min sind die Kerndaten des Motors. Dabei entwickelt der Zweizylinder seine Kraft sehr gleichförmig, bis 7000 Touren fast zaghaft. Darüber legt der Motor zwar an Zug zu, ein Bereich, in dem es so richtig abgeht, gibt es aber nicht. Vor allem Neueinsteiger dürften sich über diese harmlose Charakteristik freuen.
Unkompliziertes Fahrwerk der Kawasaki Versys-X 300
Den handzahmen Antrieb haben die Entwickler in ein ebenso unkompliziertes Fahrwerk gesteckt, das mit mittelgroßen Federwegen und den üblichen Enduro-Raddimensionen die erste Reiseenduro der 300er-Klasse ausmachen. Mit extraschmalen Reifen im Format 19 Zoll vorn und 17 hinten legt die Versys-X ein erfrischendes Fahrverhalten an den Tag, dem übertriebene Nervosität fremd ist. Noch kurvenfreundlicher wäre die Kawa vermutlich mit anderen Pneus – die aufgezogenen IRC-Reifen zeigen zwar ein artgerechtes Profil und ordentlichen Grip, der aber wegen indifferenten Feedbacks nicht vollends ausgekostet werden mag. Nichtsdestotrotz durcheilt die Kawa Kurven jeglicher Couleur angenehm handlich und lagestabil, auch bei hohen Tempi gibt sie sich keine Blöße bei der Stabilität. Auch an der Präzision beim Lenken gibt es nichts zu kritteln, wohl aber beim Fahrkomfort: Auf unebenem Untergrund agieren Gabel wie Federbein stuckerig und unangenehm hart, zudem wäre ein sensibleres Ansprechverhalten wünschenswert.
Wer mit der Kawa tatsächlich ins unbefestigte Gelände möchte, wird den großen Lenkeinschlag, der das Wenden selbst auf einspurigen Sträßchen in einem Zug erlaubt, ebenso schätzen wie die defensive Auslegung der Bremsen. Versierten Spätbremsern verzögert der Nissin-Schwimmsattel im Vorderrad aber eine Spur zu stumpf – man muss schon fest reinlangen, um das Bosch-ABS zum Eingreifen zu zwingen.
Durchaus angemessen und vernünftig fällt die Ausstattung der kleinen Reiseenduro mit robustem Gepäckträger und großem 17-l-Spritfass aus, das Reichweiten weit über 300 Kilometer garantiert. Mit besonderen Highlights kann die Kawasaki Versys-X indes nicht aufwarten. Braucht sie auch nicht, denn mit ihren Qualitäten bereichert sie die untere Mittelklasse um eine neue, abenteuerliche Facette – und das zu einem fairen Preis von 5.795 Euro.
Technische Daten Kawasaki Versys-X 300
- Motor: Flüssigkeitsgekühlter Reihenzweizylinder-Viertaktmotor, vier Ventile pro Zylinder, DOHC,
- Hubraum: 296 ccm,
- Bohrung x Hub: 62 x 49 mm
- Leistung: 40 PS bei 11.500 U/min
- Max. Drehmoment: 25,7 Nm bei 10.000 U/min
- Kraftübertragung: Sechsganggetriebe, Kette.
- Messwerte: Höchstgeschwindigkeit: 155 km/h (Werksangabe), Test-Verbrauch: 4,5 l/100 Kilometer
- Fahrwerk: Stahl-Brückenrahmen, vorne Telegabel Ø 4,1 cm, nicht einstellbar, Stahl-Zweiarmschwinge, Zentralfederbein, einstellbare Federbasis; Reifen 100/90-19 (vorne) und 130/80-17 (hinten). Einscheibenbremse vorn 29 cm, radial angeschlagener Doppelkolben-Schwimmsattel; Einscheibenbremse hinten 22 cm, Doppelkolben-Schwimmsattel.
- Assistenzsysteme: ABS, Antihoppingkupplung.
- Maße und Gewichte: Radstand 1,450 m, Sitzhöhe 84,5 cm, Leergewicht 175 kg, zul. Gesamtgewicht 355 kg, Tankinhalt 17,0 Liter.
- Preis: 5.795 Euro
(Autor: Thilo Kozik/SP-X)
Hinterlasse einen Kommentar