Gestern traf mich eine Nachricht auf Facebook wie der Blitz: eines der coolsten Motorrad-Magazine streicht die Segel und wird nach der letzten Magazin-Ausgabe im Dezember aufhören. Wie konnte es geschehen, das CRAFTRAD nach einem halben Jahrzehnt die Puste ausgeht. Erst 2017 feierten die Macher die 10. Ausgabe des Magazins. In ihrer Erklärung bringen die beiden Macher, Christoph Blumberg und Jan Zühlke, die aktuelle Situation auf den Punkt – ein schleichender Prozess, der kaum jemanden in der Szene verborgen geblieben sein kann.

Der Facebook-Post von CRAFTRAD

Was mich gestern umhaute, liest sich im Original so:

„Time to say goodbye!

Als wir beim dritten Wheels & Waves über eine Honda Dominator mit Sissybar staunten, wurde plötzlich neben uns ein langbärtiger Typ mit Bandana euphorisch: „Das ist die Zukunft, die neue Schule, die endlich den Spaß zurückbringt!“ Der Typ war Ola Stenegard, damals leitender Designer bei BMW, und seine Prognose sollte aufgehen.

Nichts macht so glücklich, wie Teil einer neuen Szene zu sein, die sich gerade erst konsolidiert. Mit CRAFTRAD dokumentierten wir die neue Custom-Szene und gestalteten sie mit. Es war verdammt schwierig, den Fan im Journalisten zu zügeln. Auch die Industrie war Fan. Ab Mitte der 2010er-Jahre forderte sie mit eigenen Modellen die unabhängige Szene heraus, unterstützte sie aber auch finanziell. Alte Vorurteile von den guten Einzelkämpfern und der bösen Industrie verpufften in einem solidarischen Miteinander, das auf allen Seiten die Stimmung – und die Kreativität – hob.

Aber nach einem halben Jahrzehnt ist die Goldgräberstimmung dahin, viele der Einzelkämpfer orientieren sich um, die Industrie zieht weiter. Die Sau ist bestimmt nicht endgültig durchs Dorf getrieben. Aber für CRAFTRAD wird die Luft zu dünn, um weiterhin aus vollen Lungen freudig ins Custom-Horn stoßen zu können. Die fehlende wirtschaftliche Perspektive untergräbt die journalistische Laune.

Mit der Dezember-Ausgabe schließen wir deshalb das Kapitel CRAFTRAD-Magazin ab. CRAFTRAD hat sich aber über das Magazin hinaus zu einer Marke entwickelt, mit der man in unterschiedlichsten Feldern ein Statement setzen kann. Gucken wir mal … Wir sind weit gekommen. Das war nur mit euch möglich, den Weggefährten und Geschäftspartnern, den Lesern und Abonnenten. Dass wir euch inspirieren konnten, hat unsere Arbeit inspiriert. Für eure Treue unser größter Dank!

Christoph, Jan & Team“

Christoph - hier zu Besuch bei Kedo in HH

Christoph – hier zu Besuch bei Kedo in HH (Foto: Nippon-Classic.de)

Aber bevor CRAFTRAD in der Versenkung verschwindet, wird Anfang Dezember noch einmal richtig in Berlin gefeiert. Zum Abschied gibt’s am 06.12. eine Party, um auf fünf glorreiche Jahre anzustoßen.

Letzte Ausgabe von RUSTY NAILS kam 2018

Aber die Berliner stehen mit ihrem Schicksal nicht alleine da. Wer noch RUSTY NAILS kennt, weiß, dass „Rusty Nail Motors Volume 7“ die letzte Ausgabe gewesen ist, und das war bereits 2018. Wie Christoph und Jan, war auch Jörg Kübler mit Leib und Seele dabei. Alle drei Medienmacher haben sich richtig in Zeug gelegt und quasi aus dem Nichts grandiose Medien auf die Beine gestellt. Doch Leidenschaft und gutes Wirtschaften reicht selbst für kleine Redaktionen nicht aus, wenn sich eine Industrie verändert.

Custom-Szene wird kleiner – Viele Bike-Schmieden wandern ab

Thomas Thöring, der in Offenbach eine erfolgreiche Custom-Schmiede betrieben hat, wandte im September Deutschland nun endgültig den Rücken zu. Seine neue Heimat ist Australien. Damit ist SCHLACHTWERK, die konsequent überladene Showbikes ablehnten und unter dem Motto „weniger ist mehr“ ultra-leichte und ultra-direkte Umbauten auf Basis der Kawasaki W650 auf die Räder stellten, hierzulande Geschichte. Sehr schade. Denn Tommy gehörte auch zur Top-Garde der „Sultans of Sprint“ und machte SCHLACHTWERK international bekannt.

Der Kopf hinter Schlachtwerk: Thomas Thöring

Der Kopf hinter Schlachtwerk: Thomas Thöring (Quelle: Nippon-Classic.de)

Ähnlich gelagert ist es bei URBAN MOTOR: 2008 hatte Peter Dannenberg seinen Job in einer Marketingagentur aufgegeben und eröffnete eine Motorrad-Manufaktur auf der Köpenicker Chaussee in Berlin. Auch Urban Motor ist bzw. war weit über die Grenzen der Hauptstadt bekannt und stand für die “absolute Reduktionen eines Bikes auf das Wesentliche“. Doch Anfang des Jahres kam das lautlose Aus, im Impressum stand nur noch „Geschlossen!“ – keine Informationen, kein Abschied..

Glemseck 101 2016

Die Jawa „Easy Like Sunday Morning“ von Urban Motors (Quelle: Nippon-Classic.de)

Alles hat seine Zeit

Selten können kleinere Magazine mit einer überschaubaren Print-Auflage von Verkaufserlösen allein leben. Ohne Anzeigen geht kaum etwas, bleiben diese zunehmend aus, wird die Luft schnell dünn. CRAFTRAD begeisterte als Magazin mit einer besonderen Haptik – produziert von MedienSchiff Bruno in Hamburg. Solch eine aufwendige Aufmachung hat natürlich auch seine Produktionskosten. Auch die künstlerisch, ambitionierte Fotos und sehr gut recherchierte Stories gibt es nicht zum Nulltarif.

Bei den Motorrädern gab es schon immer „Modeerscheinungen“. Street-Fighter, deren Anfänge in den späten 1990er zu sehen sind, waren auch schon wieder 2000 „out“. Es folgten Chopper/Cruiser in den 2000ern, bis es dann vor rund zehn Jahren mit den Cafe Racern losging. „Ich kann keine zersägte BMW mehr sehen.“, schreibt Reiner und spricht damit sicherlich vielen aus der Seele. Die Szene ist müde und der vielen Umbauten überdrüssig geworden. Jeder umgebaute Zweiventiler erhöhte die „Inflationsrate“ bei Cafe Racern, Scramblern oder Brat-Bikes. Der Markt an originalen BMW‘s der R-Baureihe dürfte inzwischen leergefegt sein. Wann sieht man denn heute noch eine unverbastelte BMW R 60/5 und BMW R 75/5?

Die BMW-Boxermodelle sind beliebt bei Bikebuildern

Die BMW-Boxermodelle sind beliebt bei Bikebuildern (Foto: Nippon-Classic.de)

Zudem gibt es immer mehr „Custom“-Bikes von der Stange. Hersteller wie Triumph, BMW oder Royal Enfield treiben das „Individualisieren“ mit „Plug-and-Play“ fast schon generös auf die Spitze.

Zweifelsfrei stehen auch unsere Mobilitätskonzepte derzeit politisch wie auch gesellschaftlich auf dem Prüfstand. Wer nicht gerade über das Elternhaus mit dem Motorradvirus infiziert wurde, denkt höchstens an Car-Sharing oder E-Scooter. Dem Motorradmarkt fehlt einfach der Nachwuchs.