Die 1960er Jahre waren eine Zeit des politischen Umbruchs und der sozialen Veränderungen. In den USA formierten sich Bürgerrechtsbewegungen der Afroamerikaner gegen die vorherrschende Rassendiskriminierung. Viele erinnern sich noch an Martin Luther Kings Rede „I have a dream“. Später kamen Proteste gegen einen sinnlosen Krieg in Vietnam hinzu. Aus der studentisch geprägten Antikriegsbewegung entstand die Hippiebewegung unter dem Motto „Make Love Not War“.
Genau zur richtigen Zeit kam das Road-Movie „Easy Rider“ in unsere Kinos, das 1969 einer ganzen Generation aus der Seele sprach. Die Sehnsucht nach Freiheit und der Wunsch der allgegenwärtigen Enge und Tristesse des „Adenauer-Wohnzimmers“ zu entfliehen, bekam eine neue Ausdrucksform. „Easy Rider“ erklärt den Weg zum Ziel und Motorradfahren zum Inbegriff von Freiheit. In einer Zeit, in der Motorräder vor allem schwarz waren, drückten Chopperfahrer ihren Protest in der optischen Gestaltung ihrer Maschinen unübersehbar aus.
„Doch wie sollte man in Deutschland den Traum vom Chopperfahren realisieren?“, fragte sich auch Walter Cuntze von AME-Chopper in Schauenburg bei Kassel. „Zu groß war die Ablehnung der Graukittel gegenüber Neuem.“ Doch Walter Cuntze leistete echte Pionierarbeit und das scheinbar unlösbare Vorhaben gelang.
AME Honda CB 400 N – Chopper „Made in Germany“
Seit 1973 fertigt AME für ‚Fransendampfer‘ individuelle Chopper, Gabelkits und Zubehörteile in Nordhessen. Zusammen mit der Frauenhofer Gesellschaft für Betriebsfestigkeit entwickelte AME Ende der Dekade einen Chopper-Rahmen im Baukastenprinzip, der unter anderem sowohl für die Zwei- als auch Vierzylindermotoren von Honda den TÜV-Segen bekam. Damit war der Baukastenrahmen perfekt für einen von der Zeitschrift MOTORRAD beauftragten Umbau der „Brot-und-Butter“ Honda CB 400 N geeignet. Neben dem 400er Motor – bis dato das kleinste bei AME verbaute Triebwerk, verwendete AME von dem Spendermotorrad nur noch die Elektrik, Schwinge, Kette, Radnaben und Bremsen. Alles andere stammt von der hessischen Chooper-Schmiede AME.
Für die klassische Chopper-Linie zeichnet das nach hinten abfallende Zentralrohr des AME-Rahmens verantwortlich. Mit einer um 20 Zentimeter verlängerten Gabel und dem fetten Schlappen hinten, wurde aus der biederen Honda ein echter Chopper. Ganz billig war das Vergnügen einen AME-Chopper zu fahren nicht. Ganze 3000 DM kostete damals das „Herzstück“ des AME Umbauprogramms, bestehend aus Rahmen, neuer Motoraufhängung, Telegabel, Gabelbrücken mit Kegelrollenlagern, Stoßdämpfern und der Fußrastenanlage. Und richtig schön soll das Ding ja schließlich auch noch sein. Wenn noch alles verchromt werden soll, was sich verchromen lässt und noch eine auffällige Metallic-Lackierung dazukommen sollen, mussten weitere 3000 hart verdiente DM über den Tresen gereicht werden. Die damals Chefgrafikerin von MOTORRAD, Doris Gassner, entwarf für die AME Honda einmaliges Südsee-Design.
Zu Walter Cuntzes „großer Lösung“ gehörte natürlich noch weiterer Flitter wie Kennzeichenhalter, Chopper-Rücklicht, Felgen samt Chrom-Speichen usw., der sich auf weitere 3000 DM summierte. So kostete der AME-Chopper Honda CB 400 N zusammen 9000 DM, wobei das „Spendermaterial“ nicht eingerechnet ist.
Insgesamt wurden von der AME Honda CB 400 N nur drei Stück gebaut. Das eine Exemplar wurde für die MOTORRAD gebaut und darüber hinaus verkaufte AME noch zwei Chopper-Bausätze für die CB 400 N. Die hier vorgestellte Maschine entstand aus einem der beiden damals verkauften Bausätzen. Karl-Heinz fand die Maschine vor einigen Jahren auf eBay, wo sie in einem desolaten Zustand in Dortmund auf einen neuen Besitzer wartete. Für 2000 Euro wechselte das gute Stück den Eigentümer und fand sich in wertschätzenden Händen wieder, die in Straubing den Honda Chopper liebevoll restaurierten. Ein paar individuelle „Side Kicks“ erlaubte sich Karl-Heinz auch und spendierte seinem AME-Chopper einen 450er Motor und eine ganz spezielle Sissybar“, die auch den Segen des kritischen TÜV-Prüfers erhielt. Seit 2008 röhrt das seltene, deutsch-japanische Kulteisen aus der längst vergangenen „Flitter-Ära“ zwischen Donau und Isar über unsere Straßen.
Mit 27 PS offeriert der AME-Chopper eine Leistungsentfaltung „der anderen Art“ und will auf Drehzahlen gehalten werden. Denn Drehmoment aus dem Drehzahlkeller sind bei der AME Honda Fehlanzeige. Aber für 120 Sachen reicht es allemal, fleißiges Schalten und angewinkeltes Handgelenk vorausgesetzt. Dafür überzeugen aber die top-solide Verarbeitung des AME Choppers und ein überraschend spielerisches Handling – „easy riding“ halt.
Der Chopper von Karl-Heinz Berier kommt allerdings nach einigen Modifikationen des 450 ccm Motors – unter anderem sind eine scharfe Nockenwelle und andere Vergaserdüsen verbaut – auf eine Leistung von knapp 50 PS und verspricht deutlich mehr Fahrspaß als das 1981 getestete Exemplar. Damit erreicht sein Chopper nach 6,5 Sekunden die 100-km/h-Marke und schafft in der Spitze 165 Sachen.
Bevor Karl-Heinz seine Maschine vor zehn Jahren gefunden hatte, fragte er direkt bei AME an, um sich einen Chopper bauen zu lassen. Heute ruft AME knapp 14.000 Euro auf. Allerdings ist eine Zulassung wegen strengeren Vorschriften eher unwahrscheinlich. So bleibt uns diese Schönheit weiterhin eine Rarität auf unseren Straßen.
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