Die Diskussionen um regionale Streckensperrungen für Motorradfahrer haben ihren historischen Anfang nicht erst in den letzten drei bis fünf Jahren genommen. Hier zeigen wir ein kleines Paradestück aus der Politikgeschichte von Günther Oettinger (CDU) – der personifizierten Ahnungslosigkeit, die Motorräder vor 30 Jahren verbieten wollte. Wir schreiben das Jahr 1989, als Oettinger noch Landesvorsitzender der Jungen Union in Baden-Württemberg gewesen ist.

Herrlich zu lesen, wie ein Politiker in typischer Manier versucht von einem volkswirtschaftlichen Nutzen von Motorrädern, über falsches Wissen zu Unfallstatistiken und technischer Entwicklung, über Lärmbelästigung und Gefährdung anderer bis hin zum Skifahren auf abschüssigen Straßen eine sinnlose Argumentationskette aufzubauen. In jedem Fall hat sich an der Linie der CDU bis heute nicht viel geändert. Getreu dem Motto: Ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt.

Hier das Original-Interview, das MOTORRAD-Redakteur Claus-Georg Petri vor 30 Jahren führte:

„MOTORRAD: Sie streben an. Möglicherweise alle Motorräder von der Straße zu verbannen. Was sind Ihre Gründe?

Oettinger: Die junge Union Baden-Württemberg hat ein umfassendes Thesenpapier erarbeitet mit dem Titel „Verkehr 2000“. Einerseits untersuchen wir den volkswirtschaftlichen Nutzen von Fahrzeugen. Zum anderen betrachten wir die Unfallzahlen im Straßenverkehr. Und die steigen bei Motorrädern.

MOTORRAD: Das stimmt nicht. In den letzten Jahren gingen die Unfallzahlen bei Motorrädern kontinuierlich zurück.

Oettinger: Ja, aber die Unfallschäden und Verletzungen sind zu schlimm und stehen in keinem Verhältnis zu den gefahrenen Kilometern, also dem volkswirtschaftlichen Nutzen des Motorrads. Der besteht nur dann, wenn zum Beispiel ein Motorradfahrer mit seinem Fahrzeug zur Arbeit fährt – nicht aber, wenn er einfach spazieren fährt.

MOTORRAD: Aber auch die Freizeitbeschäftigung Motorradfahren hat ihren Sinn.

Oettinger: Sie steht aber in keinem Verhältnis zur Lärmbelästigung oder der Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer. Zudem wird sie von vielen Motorradfahrern als Sport betrieben. Und da muss man sich fragen, wie man das sinnvoll kanalisiert.

MOTORRAD: Aber doch nicht dadurch, dass Sie die Motorräder von der Straße verbannen?

Oettinger: Niemand käme auf die Idee zu sagen, ich darf Skifahren auf einer abschüssigen Straße, wann ich will.

MOTORRAD: Nun ist die Straße nicht unbedingt gebaut zum Skifahren.

Oettinger: Okay, aber sie wäre gut dafür geeignet. Anders gesagt: Keiner käme auf die Idee, er könne unbegrenzt auf allgemein zugänglichen Plätzen Sport treiben.

MOTORRAD: Sie meinen also, dass nur der motorradfahren darf, der damit zur Arbeit fährt. Aus sportlichen Gründen oder als Hobby darf er es nicht?

Oettinger: Ich gehe davon aus, dass der objektive Nutzen des Motorrads in Relation zu seiner Freizeitnutzung weiter verringert wird. Weil der sportliche Aspekt mehr betrachtet wird, bin ich bereit zu fordern, dass die Verwaltungsbehörden berechtigt sind, zu bestimmten Tagen an bestimmten Uhrzeiten, auf bestimmten Straßen, die gesperrt oder entsprechend ausgeschildert sind, dort diesen Sport zu ermöglichen. Nicht aber die gesamten Straßen in Baden-Württemberg dafür offenzuhalten.

MOTORRAD: In Deutschland gibt es rund 28 Mal mehr Autos als Motorräder. Die Motorräder brauchen relativ wenig Sprit und haben in der Regel umweltfreundlichere Abgaswerte als Autos. Sprechen diese Fakten nicht eher für das Motorrad?

Ich stelle fest, dass ein Auto noch immer höhere Verbrauchswerte hat, aber dass die deutlich herabsinken. Ich behaupte, es wird technisch möglich sein, in wenigen Jahren mit einem normalen Mittelklassewagen mit vier bis fünf Liter pro hundert Kilometer auszukommen. Mit Dreiwegkat und bleifreiem Benzin wird das Autofahren weitgehend umweltfreundlich. Ich behaupte, beim Motorrad sind solche Verbesserungen nicht möglich.

MOTORRAD: Wie kommen Sie darauf, dass Verbesserungen beim Auto gut, beim Motorrad gar nicht möglich sind?

Oettinger: Die durchschnittliche Hubraumzahl der zugelassenen Motorräder ist in den letzten Jahren ständig gestiegen. Auch bei optimaler technischer Gestaltung braucht eine 1000-ccm-Maschine mehr Benzin als ein Auto.

MOTORRAD: Gibt Ihre Forderung, die Motorräder von der Straße zu verbannen, die neue Richtung an, mit der die Junge Union zukünftig Politik betreiben wird?

Oettinger: Ich könnte mir denken, ja.

MOTORRAD: Beweisen solche radikalen Forderungen nicht ein falsch verstandenes Verständnis von Demokratie? Schließlich ist die Straße für alle da?

Oettinger: Sicher ist die Straße für alle da. Aber Sie haben natürlich recht, das ist eine sehr drastische Überlegung.

MOTORRAD: Also doch falsch verstandenes Demokratieverständnis?

Oettinger: Nein, nein. In einer demokratischen Politik müssen auch drastische Analyse, drastische Maßnahmen möglich sein. Ich sehe es als legitim an, Motorradfahren zu verbieten und nur als Sport zu begrenzen.“

MOTORRAD-Interview anno 1989 mit Günther Oettinger

MOTORRAD-Interview anno 1989 mit Günther Oettinger (Quelle: Motorrad 4/1989)

Zurück in die Gegenwart, der scheidende EU-Haushaltskommissar wird nach Ende seiner 10-jährigen Amtszeit in Brüssel selbstständiger Wirtschafts- und Politikberater, wie Spiegel Online berichtet. Oettinger war in der EU-Kommission von 2010 bis 2014 zunächst für Energie und bis 2016 für Digitales zuständig. Eine Ethikkommission prüft, ob sein Beratungsunternehmen im Interessenskonflikt zu seiner Amtszeit steht. Ganz unbegründet ist es nicht, schließlich gilt Oettinger als einer der besten Netzwerker auf dem politischen Parkett.

Feldzug gegen Motorräder heute durch vermehrte Streckensperrungen

Seit einiger Zeit häufen sich Meldungen zu Streckensperrungen für Motorräder. Streckensperrungen sind seit Jahren ein probater Versuch von Gemeinden und Städten Motorräder zu verbieten, auch wenn es nur lokal ist. Fahrverbote scheinen in diesem Jahr ein neues Level zu erreicht zu haben.

Hintergründe zum Ausschluss von Motorrädern

Motorradunfälle auf neuralgischen Strecken

Wir alle kennen die unzähligen Horrormeldungen in den Zeitungen, die in der Art lauten:

  • „Bei einem Zusammenstoß mit Pkw wurde eine Motorradfahrerin in Barsbüttel schwer verletzt.“
  • „Motorradfahrer prallt gegen Ampelmast. Beim Überholen verlor der Mann die Kontrolle über seine Maschine. Er erlitt schwere Verletzungen.“
  • „Auto gegen Motorrad: Schwer verletzt. Ein 42-jähriger Ahrensburger wurde mit seinem Motorrad auf der Bundesstraße in Richtung Wesenberg von einer 52-jährigen VW-Fahrerin übersehen.“

Und das sind nur drei Meldungen aus dem Mai der SHZ, einem Regionalblatt aus dem Norden. Es wäre abendfüllend hier alle gemeldeten Motorradunfälle zu listen, aber die Zahlen sind erschreckend. Allein in NRW zählte die Polizei im ersten Quartal 466 verunglückte Motorradfahrer. Und an dem sonnigen Osterwochenende starben nach Polizeiangaben mindestens zehn Biker auf bundesdeutschen Straßen.

Aus Sicht der Polizei sind zu hohe Geschwindigkeiten, eine mangelnde Kenntnis der Strecken und Selbstüberschätzung die häufigsten Ursachen für schwere Unfälle, wie der WDR in einem Beitrag dazu schreibt.

Motorradfahren ist gefährlich. Klar. Aber deshalb Motorräder gleich pauschal zu verbieten? Gestiegene Motorleistungen der Maschinen und eine erhöhte Verkehrsdichte dürften zwei weitere Gründe für Verkehrsunfälle sein. Gerade ältere Motorradfahrer rüsten auch deshalb ab und tauschen ihre schwere Maschine gegen leichte 250er oder 125er Modelle, die sie einst in ihrer Jugend gefahren sind. Aber auch prominente Vertreter kehren dem Motorradfahren den Rücken zu – „zu gefährlich“, wie der 31-Jährige Hoffenheim-Trainer, Julian Nagelsmann, eingesteht.

Mit Sperrungen kurvenreicher, schwer einsehbarer Straßen wird so versucht den Unfallzahlen entgegenzuwirken. Doch bestraft man damit nicht auch die „Normalos“, die nicht rücksichtslos durch die Gegend heizen, sondern einfach nur mit ihrem „Mopped“ allein oder in der Gruppe cruisen wollen? Ich sage JA!

Straßensperrungen für Motorräder

Straßensperrungen für Motorräder (Foto: Pixabay)

Lärmbelästigung durch Motorräder

Als zweiten Grund für Streckensperrungen wird Lärmbelästigung durch Motorräder ins Feld geführt. Lärm wird bekanntlich sehr subjektiv wahrgenommen, den einen stören Geräusche nicht oder nur wenig, den anderen nerven sie gewaltig. Und ja, repräsentative Umfragen des Umweltbundesamtes bestätigen, dass Straßenverkehrslärm mit Abstand als der größte Störfaktor empfunden wird.

Sicherlich wird es einige Biker geben, die den db-Eater aus der Auspuffanlage an ihrem Motorrad entfernen und so aufmerksame Blicke auf sich ziehen wollen. Klar, dass das nervt, wenn so eine Mühle von morgens bis abends vor der eigenen Haustür auf- und abfährt. Ist das auch die Realität? Wohl eher nicht. Und muss ich wegen einem Rücksichtslosen eine ganze Motorradgemeinschaft ausschließen? Und mal ehrlich, erwarten wir nicht auch von einer Harley Davidson, dass sie nach Motorrad klingt und nicht als leise säuselnde Honda Goldwing 1800 daherkommt?

Ich denke, es wird immer Leute geben, die Dinge störend finden und sich darüber aufregen. Da sind Motorradfahrer ein gefundenes Fressen. Wenn ich mir die Liste der Streckensperrungen anschaue, sind es vor allem Landkreise und kleinere Städte, die gegen Motorradfahrer vorgehen (wollen). Klar, wer im „Ländle“ lebt, beharrt auf sein gesetzlich verbrieftes Recht auf Ruhe. Hä?! Ist natürlich Quatsch.

In der Stadt ist der Umgang mit Lärm eine tägliche Disziplin. Gerade Großstädter kennen es nur zu gut, wenn der Migrationsproll mit seinem 600-PS-Benz neben Dir aufkreuzt und die Auspuffklappen auf „Durchzug“ geschaltet hat. Im direkten Vergleich wirkt die markdurchdringende Sirene der Rettungsfahrzeuge fast wie eine liebkosende Schalmei. Sperren wir deshalb den Ku’damm in Berlin für alle Mercedes Benz Fahrer? Nein!

Für mich gleicht das aktuelle Vorgehen der Städte und Gemeinden einem Feldzug gegen ALLE Motorradfahrer. Verstärkte Streckensperrungen für Motorräder als Allheilmittel zu sehen kommt eher eine Sippenhaft gleich, getreu dem Motto: „bekomme ich nicht den einzelnen Übeltäter gefasst, bestrafe ich einfach alle.“

Braucht es aber nicht viel mehr eine gegenseitige Rücksichtnahme und Toleranz? Zum Glück gibt es Verbände, die sich gegen Sperrungen stark machen. So setzt sich die Bundesarbeitsgemeinschaft Motorrad (BAGMO) aktiv für die Interessen der Motorradfahrer(innen) und sagt ungerechtfertigten Streckensperrungen für Motorräder den Kampf an. Auch der Bundesverband der Motorradfahrer klagt immer wieder gegen unzulässige Sperrungen und ruft zu Demonstrationen und dem Dialog mit den Gemeinden auf. Angepasst und rücksichtsvoll auf (diesen) Straßen zu fahren dürfte als Gegenleistung für freie Fahrt nicht zu viel verlangt sein.