Was passiert, wenn ein passionierter Motorradmechaniker und Tüftler auf ein heruntergewirtschaftetes eBay-Schnäppchen mit 17 Vorbesitzern trifft? Der Meister seiner Zunft verwandelt das unansehnliche Häufchen Elend in ein Custom Bike, das in Sachen Design, innovativen Ansätzen und Perfektion seines Gleichen sucht. Kein Wunder also, dass Jürgen Schulz‘ Kawasaki GPz 810 Uni Trak bei der diesjährigen Motorradwelt Bodensee den 3. Platz beim „Best Bike Award 2017“ einheimste. Auf der Intermoto Saarbrücken kam der Café Racer sogar aufs Siegerpodest und löste Stürme der Begeisterung aus.
Eine absolut würdige Platzierung, wenn man sich anschaut, was Hobby-Schrauber Jürgen Schulz aus der 1985’er Kawasaki GPZ 750, die er für ein paar hundert Euro auf einem Kleinanzeigenportal geschossen hatte, gemacht hat. Rund 600 Arbeitsstunden und 16.000 Euro später ist von dem einstigen Serienmodell nicht mehr viel übrig. In akribischer Handarbeit und mit viel Liebe zum Detail präsentierte er der Welt ein perfektes Einzelstück. Der grüne Kawasaki Café Racer ist der absolute Knaller bei jedem Motorradtreff und ist sogar zu haben.
Wie kam es zu diesem Motorrad?
Auf meine profane Frage, wie die Idee für die GPZ 810 Uni Trak entstand, antworte Jürgen:
„Eigentlich wollte ich schon mit 15 Lenzen ein Motorrad bauen und habe damals eine vollständige Beschreibung angefertigt. Ein Einliter-Einzylinder sollte es werden. Die Beschreibung verschwand, in meinem Kopf blieb aber die Idee ein Motorrad zu bauen. Und das über all die Jahrzehnte!
Beim Rumstöbern auf Ebay hatte ich dann mal ein Gebot auf eine unansehnliche GPz750 abgegeben. Keiner wollte sie und mein Gebot blieb das einzige. Der Verkäufer aus Hanau war damals froh, den Haufen endlich los zu sein und brachte sie mir noch persönlich nach Saarbrücken. Noch lustlos fing ich erst nach drei Monaten an die arme Kawa zu schlachten, aber noch immer ohne Idee, was ich eigentlich daraus machen wollte. Ich wollte aber unbedingt ein schönes Motorrad fürs Herz und alle Sinne bauen und nicht für den Verstand.“
Die Basis des Kawasaki GPZ 810 Café Racers
Die Basis des Umbaus, eine Kawasaki GPZ 750, ist heute betrachtet ein klassischer Sportler mit einem soliden Triebwerk und reichlich Dampf. Der bewährte Motor stammt aus der Z-Baureihe und gehört zu den meistgebauten aus dem Hause Kawasaki. Das kultige Relikt aus den 1980er Jahren sorgt noch für einen Klang, wie man ihn bei einem Motorrad erwartet.
Damit bietet das ursprüngliche Bike, das Jürgen für schlappe 450 Euro bei Ebay erstehen konnte, beste und nicht mal teure Zutaten für den Café Racer Umbau. Die Namensgebung verdankt die Kawasaki GPz 810 Uni-Trak übrigens dem 1983 bei der GPZ-Baureihe eingeführten Zentralfederbein (Uni-Trak). Was alles an der Kawa umgebaut und modifiziert wurde, erfahrt ihr jetzt.
Jürgens GPZ 810 Uni Trak Umbau – die Leichtigkeit des Seins
Radikale Einschnitte am GPz-Rahmen
An dem originalen Kawasaki GPz 750-Rahmen schnitt der Bikebuilder aus dem Saarland sowohl Heck als auch Rahmendreieck ab. An den oberen beiden Rohrschnittstellen wurden fachmännisch zwei Drehteile aus ST52-3 eingepasst und verschweißt. Die obere Federbeinaufnahme bekam ein Frästeil aufgeschweißt, das als Aufnahmeauge für die Heck/Sitzbank-Abstützung dient.
Jeden unnötigen Ballast, der keinen Einfluss auf die Stabilität hat, entfernte Jürgen gnadenlos. So flogen irrelevante Halterungen für Hupe und Verkleidung auf den Schrott. Alle Schweißarbeiten überließ er aber einem Profi mit entsprechender Schweißerprüfzertifikat. Nach erfolgtem „Cleaning“ wurde der Rahmen chemisch entlackt und für die Ewigkeit mit Pulver beschichtet.
Umgestaltete Schwinge
Die Schwinge der Kawasaki GPZ 750-Schwinge behielt Jürgen weitestgehend bei, modifizierte jedoch die Umlenkung, indem statt der beiden Verbindungslaschen zwei Links-Rechts-Versteller aus Edelstahl mit Hilfe von gedrehten und geschliffenen Bolzen eingesetzt wurden.
Damit lässt sich die Schwinge im Neigungswinkel einstellen. Für den notwendigen Federungskomfort ist ein Wilbers-„Uni-Trak“-Federbein zuständig. Darüber hinaus wurden Buchsen in beide Schwingarme eingeschweißt und teilweise mit Gewinden für Montageständeraufnahmen und Bremsankerbefestigung versehen. Wie der Rahmen, erhielt auch die Schwinge eine solide Pulverbeschichtung.
Fahrwerksmodifikationen an der GPZ 810 Uni Trak
An der Kawasaki ZX9-R Upside-Down-Telegabel wurden die Tauchrohre mit einer extrem dünnen und verschleißfesten Plasmabeschichtung versehen, die Gabelfäuste pulverbeschichtet und die Aluminium-Gabelbrücken auf Hochglanz poliert. Schaut nicht nur super aus, sondern ist auch wirkungsvoll.
Das Vorderrad bekam eine 40 Speichen fassende Nabe einer Harley-Davidson Sportster 1200, die auf metrische Lagergrößen ausgespindelt und poliert wurde. Am Hinterrad spendete eine Honda CB 750 F ihre Radnabe. Radmitte und die ebenfalls polierten 18 Zoll Akront-Alufelgen wurden mit 5 mm dicken Edelstahlspeichen verbunden.
Zum Ausgleich des axialen Scheibenabstandes und des Zentrierbundes der Bremsscheiben vorn fertigte Jürgen Schulz spezielle Adapterringe aus Aluminium. Zur Ausrichtung der Kettenlinie war eine Zwischenscheibe (Spacer) aus Stahl notwendig, die unter dem Kettenrad eingesetzt wurde. Für die hintere Bremsscheibe war zudem ein Adapter notwendig, um die moderne ZX6R-Scheibe mit vier Bohrungen auf die alte Honda-Nabe mit sechs Stehbolzen zu montieren. Entstanden ist ein Edelstahlteil, das den TÜV voll überzeugt hat.
Die fertige Kawasaki GPz 810 Uni-Trak rollt auf Avon Roadmaster Schlappen in den Dimensionen 130/70×18 vorn (120/70×18 ebenfalls eingetragen) und 150/70×18 hinten. Das vordere Schutzblech ist Marke Eigenbau aus dem originalen GPz-Kunststoffteil sowie einer Eigenbauhalterung.
Bremsanlage
Bei der vorderen Bremsanlage griff Jürgen erneut ins Kawasaki-Regal und besorgte sich eine gut gebrauchte Handbremspumpe einer Kawasaki ZX10R sowie zwei Vierkolbenbremssättel von einer Kawasaki ZX9-R, die jeweils komplett aufgearbeitet wurden. Neu hingegen sind Bremsbeläge sowie die Stahlflexleitungen und TRW-Bremsscheiben – beides mit ABE, versteht sich. Hinten verrichtet eine Bremsanlage von einer ZX6-R zuverlässig ihren Dienst.
Fußrasten
Bei der Fußrastenanlage sowie den Schalthebel und Bremspumpe/-Hebel bediente sich der passionierte Schrauber ebenfalls an einer Kawasaki ZX6-R jüngeren Baujahrs. Die Befestigung erfolgte an den fast originalen Fußrastenaufnahmepunkten des Rahmens mit je einer Adapterplatte aus 20 mm starkem Aluminium. Genial: Mehrere Gewindepaare lassen zudem eine Verstellung der Fußrastenposition zu.
Technisches Refresh und mehr Hubraum
Schon werkseitig trumpfte die GPz 750 mit einem soliden Motor und reichlich Dampf auf. Klar, dass das dem anspruchsvollen Schrauber nicht genügte. Da geht doch mehr. Gesagt, getan… Den 738 ccm messenden GPz-Motor bohrte der Saarländer auf 810 ccm auf und erweiterte die Einlasskanäle von 30 auf 34 mm. Ansonsten blieb das zuverlässige Triebwerk unverändert. Lediglich alle Lager, Dichtungen und Verschleißteile wurden erneuert, optisch aufbereitet und lackiert bzw. poliert.
Die Mikuni RS34 Vergaserbatterie ist über gedrehte Adapterscheiben angeflanscht und bekam offene Ansaugtrichter mit Flammsieben montiert. Der Leistungsprüfstand attestiert der Kawasaki GPZ 810 Uni-Trak nun potente 94 PS, die bei 9.500 U/min anliegen.
Der Reihenvierzylinder der GPZ 810 Uni Trak atmet über eine SR-Racing Edelstahlauspuffanlage aus und besteht aus vier zweiteiligen Krümmern, einer 4-2-1-Zusammenführung und dem Dämpfer. Der Dämpfer beinhaltet einen herausnehmbaren „dB-Killer“, der die Geräuschkulisse auf TÜV-verträgliche 85,6 dB begrenzt.
Die Optik ist ein echtes Schmankerl
Die Heck-Sitzbank-Kombination ist eine Eigenbaukonstruktion und ein absoluter Eyecatcher, die mit drei Aufnahmepunkten am Hauptrahmen fixiert wurde. Die gesamte Sitzlast wird über diese Dreipunktaufnahme aufgenommen. Der Sitz stützt sich ausschließlich auf einem Vollaluminium-Rundstab ab. Das lackierte Heckteil mit den stylischen Rückleuchten ist hingegen lastfrei.
Der Tank stammt von einer GPz 1100, ist etwas länger und bauchiger als der 750er, und fügt sich perfekt in die Cafe Racer Komposition ein. Neben einer chemischen Behandlung innen wie außen waren ein neuer Benzinhahn, sowie neue Halterungen am Rahmen vorn erforderlich.
Für das optische Finish der Kawasaki GPZ 810 Uni Trak sorgte Willi Voss aus Karlsruhe mit seiner ‚Candy Lime Green‘ Lackierung, die dem Boliden das „I-Tüpfelchen“ aufsetzt.
Von der Optik ins Cockpit
Last but not least, krönen ein MMB-Tachometer mit einem elektronischen Impulsgeber am Vorderrad, sowie ein beleuchtetes Instrument mit Kontrolllampen für Blinker, Fernlicht, Leerlauf und Motorölstand das schlichte Café Racer Cockpit. Im Zentrum befindet sich ein großer, elektronischer Drehzahlmesser mit weißem Ziffernblatt von Elliott sowie einem von Jürgen aus dem Vollen ‚geschnitzten‘ Gehäuse.
Ungewöhnlich für einen Café Racer entschied sich Jürgen für einen Doppelscheinwerferlösung: einem 180 mm großen Hauptscheinwerfer plus einem halb so großen Fernscheinwerfer.
Links und rechts gibt’s Stummel-Lenker von einer Kawasaki ZX9R und griffige Tomasselli- Gummis.
Mein Resümee zur GPZ 810 Uni Trak
Die fertige Kawasaki GPZ 810 Uni Trak ist ein Gesamtkunstwerk und lässt sich eigentlich nur mit Superlativen beschreiben. Der Café Racer Umbau von Jürgen Schulz zeigt ganz deutlich auf, was entstehen kann, wenn echte Leidenschaft und handwerkliche Perfektion aufeinander treffen. Herausgekommen ist ein wahrer Leckerbissen, der auch noch easy fahrbar und kein reines Show-Bike ist.
Danke für den tollen Artikel auf dieser Klasse-Seite! Grüße Jürgen
Hi Jürgen,
vielen Dank für Deinen grandiosen Umbau und Deine Unterstützung zum Gelingen des Beitrags! Ich freue mich schon auf Dein nächstes Custom Bike!
viele Grüße, Jens
Hallo Jens,
na die ist ja fast zum Niederknien schön. Mit Fug und Recht ein meisterlicher Umbau mit viel Liebe zum Detail bis hin zur „Hausfarbe“ LIME GREEN.
Davon wünschen wir uns mehr; ich persönlich wünsche Jürgen viel Erfolg bei der Vermarktung und weiterhin so ein „gutes Händchen“ bei seinen weiteren Projekten.
Bikergruß
Frank Colling