Die Rallye Dakar 2019 bleibt uns mit dem KTM-Dreifachsieg im Gedächtnis: Toby Price, Matthias Walkner und Sam Sunderland deplatzierten die Konkurrenz mit ihren KTM-Bikes in der peruanischen Wüste. Und die KTM-Mannen aus Österreich nehmen ihr Marken-Motto ernst. Das „Ready to Race“, alljährlich durch einen weiteren „Dakar“-Sieg beflügelt, zieht sich durch alle Baureihen. Kaum ist der 18. Erfolg bei der brutalsten Rallye der Welt im Kasten, schicken sie die neue KTM 790 Adventure ins Rennen.
Zwei Varianten einer neuen Klasse
Nachdem Platzhirsch BMW seine F 800 GS zur 850 GS hinaufgefüttert hat, macht KTM mit der 790 Adventure eine neue Klasse auf. Sehnig, aber keineswegs reduziert kommt die schlanke Österreicherin daher und will gleich in zwei Varianten groß abräumen:
- Als universell einsetzbare, leicht zugängliche KTM 790 Adventure und
- als fahrwerksseitig noch weiter fortgeschrittene, sportlichere KTM 790 Adventure R.
Beide Versionen unterscheiden sich nur geringfügig, vor allem durch Federelemente sowie Bereifung. Die optimale Verbindung von Reiseeignung mit Offroadfähigkeiten auf höchstmöglichem Niveau war die Zielprojektion der Entwickler. Zur Beweiserbringung standen beide Versionen für eine Testfahrt inmitten der marokkanischen Sahara bereit.
Fahrbericht der KTM 790 Adventure
Die 790 Adventure teilt sich den Motor mit der im vergangenen Jahr präsentierten KTM 790 Duke. Leistungsseitig markiert sie – zusammen mit der 850 GS – das obere Ende der Fahnenstange im Segment der großvolumigen „Stelzentourer“:
- Yamaha 700 Tenere: 74 PS bei 6.500 U/min
- Moto Guzzi V85TT: 80 PS bei 7.750 U/min
- BMW 850 GS: 95 PS bei 8.250 U/min
- KTM 790 Adventure: 95 PS bei 8.000 U/min
Mit 95 PS leistet der sehr kompakte Zweizylinder-Reihenmotor zwar 10 PS weniger (790 Duke mit 105 PS), bringt dafür aber dank neuer Motorabstimmung und neuer Ventilsteuerzeiten deutlich mehr Drehmoment zustande. Das Plus an Durchzugskraft ist spürbar: der Twin zieht, wenn offroad beispielsweise nötig, auch aus niedrigen Drehzahlen noch gut durch und neigt trotz geringer Schwungmasse nicht zu übertrieben frühem Absterben. Oben heraus hat der Motor von seinen Jubel-Fähigkeiten so gut wie nichts eingebüßt. Wer den für beide Versionen erhältlichen Quickshifter ordert, baut damit auch die Offroad-Fähigkeiten weiter aus, weil blitzschnelle Gangwechsel erleichtert werden. Das ist keine Kritik am guten Sechsganggetriebe und an der feinfühlig und leicht dosierbaren Kupplung.
Sparsamer Offroader
Mit einem On-/Offroad-Verbrauch von 4,4 Liter pro 100 Kilometer – bei allerdings meist verhaltener Fahrt weitgehend ohne Tiefsand-Späßchen – gab sich das Triebwerk sparsam, so dass der 20 Liter-Tank echte Adventure-Reichweiten möglich macht. Um so viel Sprit in diesem zierlichen Motorrad bunkern zu können, wählten die KTM-Entwickler eine außergewöhnliche Lösung: Der Tank reicht links und rechts des Motors bis an den Motor-Unterschutz herunter; das sorgt für eine Ausbeulung vor den Fußrasten. Eine Bruchgefahr des Tanks bei eventueller Kollision mit einem Hindernis schließt KTM aus. Ob potenzielle Kunden diese optische Besonderheit goutieren, bleibt abzuwarten, ist aber angesichts der Vorteile für Reichweite und Fahrzeugschwerpunkt wahrscheinlich.
Großes Lob an das Fahrwerk der KTM 790 Adventure
Eine Wucht ist das Fahrwerk der abenteuerlustigen 790er KTM. Mit 20 Zentimetern Federweg bietet bereits die Basisversion echt offroad-taugliche Werte. Die 790 Adventure R legt mit 24 Zentimetern noch eins drauf. Bedeutsamer ist aber das Plus vielfältiger Einstellmöglichkeiten und einer stabileren Ausführung der Gabel. Erkauft wird die Superplus-Federung der R allerdings durch eine um 5 Zentimeter gewachsene Sitzhöhe. Auf der Basisversion lässt sich der Sitz wahlweise in 83 oder 85 Zentimetern Höhe arretieren, auf der R sind stolze 88 Zentimeter gesetzt. Es gibt aber für beide Versionen gegen Aufpreis modifizierte Sitzbänke. Die KTM 790 Adventure R ist deshalb erst für Fahrer ab gut 1,80 Metern eine sinnvolle Option – und dieses zumeist auch nur dann, wenn viel mit Zweipersonenlast sowie mit reichlich Gepäck gefahren wird, weil dann die Federungsreserven deutlich höher sind. Die Zuladung ist mit 240 Kilogramm bemerkenswert hoch.
Ausgesprochen erwachsen gibt sich die KTM 790 Adventure auch in punkto Ausstattung und Sicherheit: Ähnlich viel Hightech serienmäßig gibt es im Adventure-Segment zu einem überschaubaren Preis sonst nirgendwo. Wir sprechen hier nicht nur vom Kurven-ABS, dem sehr gut ablesbaren TFT-Display, LED-Licht und der vielstufigen Traktionskontrolle, sondern auch von den vier Fahrmodi.
- „Rain“ begrenzt die Motorleistung auf 80 PS und sorgt für sanfte Gasannahme
- „Street“ ist quasi die Universallösung.
- „Offroad“ ist auf losen Untergrund und den Gebrauch von Stollenreifen abgestimmt.
- „Rallye“ ist eine besonders pfiffige, aber kostenpflichtige Option. Bei ihr können alle Parameter (Gasannahme, Schlupf am Hinterrad) individualisiert und dauerhaft gespeichert werden.
Weil das Bordcomputer-Menü bei KTM mittlerweile echt logisch strukturiert ist, gehen Einstellungs-Modifikationen leicht von der Hand. Das ABS weist neben der Straßen- auch eine Offroadfunktion auf, regelt vorn dann später und hinten gar nicht mehr; zudem ist es abschaltbar. In die Fahrmodi eingebunden ist seine Regelungsart nicht; eine gute Lösung, die aber Mitdenken des Fahrers erfordert.
Sitz- und Lenkerposition passen bestens für weite Strecken, der höhere und zudem höhenverstellbare Windschild der Basisversion lärmt allerdings beträchtlich, wir bevorzugen den niedrigeren R-Windschild. Überdies bietet KTM viel nützliches Zubehör, vom Quickshifter und dem schon erwähnten Rallye-Mode über breite Enduro-Fußrasten, Griffheizung und Hauptständer bis zu unterschiedlichen Seitenkoffern.
Mit grob profilierten Reifen ausgerüstet, machte die R-Version im Sand, aber auch auf Geröll und auf Pisten mit vielen sandigen Furchen und Furten eine ausgezeichnete Figur. Dass sie lediglich 210 Kilogramm wiegt, ist ständig spürbar, denn kniffelige Fahrmanöver fallen mit ihr leicht. Einer 1290 Adventure R dürfte sie in der Hand eines gleich guten Fahrers trotz 65 PS Minderleistung klar überlegen sein, vom Mehr an Fahrspaß infolge geringerer Mühe ganz zu schweigen.
Es wird spannend im Segment der Reiseenduros
Die neue KTM 790 Adventure kann nämlich alles, was man auf langen Strecken wie auf schlechten Straßen oder auch auf losem Untergrund können muss und bietet das komplette Programm aktueller Technik, ohne deshalb zu einem Schwergewicht zu mutieren. Nüchtern betrachtet steckt sie nicht nur ihre übermotorisierten Schwestern aus Mattighofen in den Sack, sondern macht es auch einigen der Wettbewerbsfahrzeuge aus München, Bologna und Hinckley richtig schwer. Und der fürs späte Frühjahr zu erwartenden Yamaha Ténéré 700 möglicherweise ebenfalls.
Welche der beiden KTM-Versionen die geeignetere ist, hängt von den Anforderungen und Ansprüchen des Fahrers ab, aber auch von seinem/ihrem Wuchs. Wenn es darum geht, wird man mit der Basisversion vermutlich ebenfalls vergnügt quer durch Afrika kommen wie mit der R-Version. Der Weltreisende Joe Pichler demonstriert es derzeit eindrucksvoll: Mit Ehefrau Renate als Sozia hat er seit dem Start im Tschad bereits 15.000 Kilometer hinter sich, auf einer 790 Adventure R. Der zuvor gefahrenen KTM 1090 Adventure R weint er keine Träne nach.
Technische Daten KTM 790 Adventure (790 Adventure R in Klammern)
Motor:
- Typ: Flüssigkeitsgekühlter Zweizylinder-Reihenmotor, Einspritzung
- Ventilsteuerung: 8 Ventile, DOHC,
- Hubraum: 799 ccm
- Leistung: 70 kW/95 PS bei 8.000/min
- Drehmoment: 89 Nm bei 6.600/min;
- Kraftübertragung: 6 Gänge, Kettenantrieb.
Fahrwerk:
- Rahmen: Stahl-Brückenrahmen, Motor mittragend;
- vorne USD-Telegabel mit 43 mm (48 mm) Durchmesser, 200 (240) mm Federweg (voll einstellbar);
- hinten: Leichtmetall-Zweiarmschwinge, Zentralfederbein, Vorspannung einstellbar (voll einstellbar), 200 (240) mm Federweg
- Räder: Leichtmetall-Kreuzspeichenräder; schlauchlose Reifen 90/90-21 (vorne) und 150/70-18 (hinten).
- Bremsen: 320 mm Doppelscheibenbremse vorne, 260 mm Einscheibenbremse hinten.
Assistenzsysteme:
- Kurven-ABS,
- 3 Fahrmodi (Rain, Street, Offroad, optional zusätzlich Rallye),
- Traktionskontrolle,
- Antihopping-Kupplung;
- weitere Systeme optional.
Maße und Gewichte:
- Radstand 1.509 (1.528) mm
- Sitzhöhe 830/850 (880) mm
- Leergewicht fahrfertig 210 kg
- Zuladung 240 kg
- Tankinhalt 20 Liter
Fahrleistungen:
- Höchstgeschwindigkeit: 200 km/h (170 km/h mit Metzeler Karoo3).
- Normverbrauch lt. EU4: 4,2 l/100 km.
Farben: Orange, Weiß (Schwarz)
Preis: ab 12.399 (ab 13.299 Euro)
[Test: Ulf Böhringer/SP-X]
Hinterlasse einen Kommentar