„Renntechnik für die Straße“ – Fragezeichen? RD steht für „Race Development“. Warum das 1970 noch stimmte und 1980 zum Werbeslogan verkam. In der Tat gab es bei den ersten luftgekühlten Yamahas Anfang der 1970er Jahre noch Gemeinsamkeiten zwischen den Yamaha Productionracern und den Straßenversionen. Zeitweise erfolgte die Fertigung sogar auf denselben Montagelinien.

Als Yamaha im Jahr 1980 die wassergekühlten Yamaha RD Zweizylinder auf den Markt brachte, war die Sensation perfekt: 38 PS aus 250 und 49 PS aus 350 Kubikzentimetern Hubraum – derartige Hubraumleistungen kannte man bis dato nur von Rennmaschinen!  Renntechnik für alle – das suggerierte auch die Werbung, und die Motorradwelt erschauerte vor Ehrfurcht. Was für Raketen mussten das sein! Kannte man die luftgekühlten Vorgängermodelle bereits als agile und viel Fahrspaß vermittelnde Maschinen, musste die LC alles bisher da gewesene übertreffen. Mit Überschriften wie „Feuerzeug“, „Heizgeräte“ und „Wo Rauch ist, ist auch Feuer“ fachte die Presse die Erwartungen munter an und stellte die Weichen für eine geradezu verhängnisvolle Entwicklung. Kein Motorrad wurde derart geprügelt wie die LC, und an keiner Maschine wurde mehr herum gebastelt und „getunt“. Ein Teilehändler aus Saarbrücken drückte es so aus: „Die RD war das am meisten geschundene Motorrad der Welt. An keiner anderen Maschine wurde und wird auch noch heutzutage derart hirnlos herumgeschraubt, und kein anderes Motorrad wurde und wird auch heute noch derart gequält.“

Yamaha LC Tuning

Bereits kleine Eingriffe wie „Luftfiltertuning“ mindern die Vollgasfestigkeit und fördern Kolbenschäden (Foto: Heiner Jakob)

Die Yamaha Marketing-Strategen hatten sich das fein ausgedacht: In der Werbung suggerierte man Renntechnik und Leistung satt, die anfangs ausgewiesene Höchstgeschwindigkeit war aber utopisch und wurde bald deutlich nach unten korrigiert. Schnell machten Legenden von unglaublich gut gehenden LC´s die Runde und geisterten sogar durch die Gazetten. Die Erwartungen der Käufer stiegen damit ins Irreale. Folge: Das Ersatzteilgeschäft brummte. Hunderte neuer Maschinen wurden geschlachtet, um Ersatz für krumme Gabeln, verbeulte Auspuffanlagen und verreckte Motoren liefern zu können. Reihenweise ging den RD-Heizern die Straße aus, und viele brachen sich dabei das Genick.

Die Zäsur erfolgte 1980

Die letzte luftgekühlte RD, Typenreihe RD250 (2R8) und RD400 (2R9) waren die letzten Vertreter der klassischen RD-Baureihe – solide Maschinen, konstruiert von Ingenieuren, die noch mit dem Motorrad zur Arbeit fuhren und Qualität und Langlebigkeit an erster Stelle sahen. Doch die Renneinsätze von Yamaha verschlangen Geld, zu viel Geld – mehr Geld, als der Verkauf der aufwändig konstruierten Motorräder klassischer Prägung einbrachte.

Yamaha vollführte eine Kehrtwendung um 180 Grad.

Über das Lastenheft für die LC-Baureihe bestimmten nicht mehr die Techniker. Die Kaufleute und Marketing-Strategen übernahmen die Regie. Der Verkauf sollte vehement angekurbelt, die Herstellungskosten halbiert werden. Man darf dabei nicht außer Acht lassen, dass die Japaner mit den Amerikanern mehr als eine Rechnung offen hatten. Die Kriegsverletzungen waren für alle Zeiten in das nationale Selbstverständnis eingebrannt.

Nirgendwo auf der Welt verkauften die Japaner mehr Motorräder als in den U.S.A.

Und die Japaner wussten über die Amerikaner besser Bescheid als die über sich selbst. Der Durchschnittsamerikaner brauchte kein Motorrad für den Weg zur Arbeit. Er kaufte sich Lifestile und Freizeitvergnügen. Warum also in Solidität und Langlebigkeit investieren, wenn die Maschinen nach der ersten Tankfüllung nicht mehr ansprangen und vor sich hingammelten. Die anderen Märkte, auch Deutschland, waren volumenmäßig nicht so uninteressant und wurden von den Japanern eher der Vollständigkeit halber mitbedient.

Als die LC 1980 auf den Markt kam, wog sie trotz Wasserkühlung deutlich weniger als die luftgekühlten Vorgängermodelle. Erreicht wurde die nicht, wie man annehmen könnte, durch die Verwendung höherwertiger Materialien – im Gegenteil. Die Rahmen bestanden nicht mehr aus legiertem hochfestem Nahtlosrohr sondern aus billigem Konstruktionsrohr, man könnte sagen Wasserleitungsrohr: Rohre mit geschweißter Naht, geringer Festigkeit und dicker Wandung. Die Rahmen waren lustlos zusammen gebraten, die Schweißnähte unter aller Würde. Lackierung? So kann man den dünnen Farbauftrag ohne Grundierung nicht bezeichnen.

Plastikteile mit dünner Wandung ersetzten Metall und Chrom und sparten Gewicht und Kosten. Die Seitendeckel hielten selten länger als eine Saison, dann waren sie gerissen. Die Gabelstandrohre schrumpften von 35 auf 32 Millimeter. Ein Zentralfederbein ersetzte die Stereofederung. Der Durchmesser der Radachsen war beängstigend dünn geworden. Und so weiter und so fort.

Und der Motor der Yamaha RD LC?

Wiesen die frühen luftgekühlten Modelle noch eingegossenen Stahlschalen für die Kurbelwellenhauptlager auf, verschwand dieser „Luxus“ bereits in den 1970er Jahren. Dennoch waren die Motoren der luftgekühlten Modelle solide Ingenieurarbeit mit soliden Gehäusewandstärken und einem vorbildlichen Innenleben. Mit der LC schrumpften die Gehäusewandungen auf ein nahezu nicht mehr vertretbares Minimum. Die aufwändig gebauten Kurbelwellen traditioneller Bauart mit Mittelverzahnung und vollen Wangen wichen Wegwerfwellen geringer Gestaltfestigkeit. Die Härtung der linken Wange entfiel.

Von den ursprünglich drei Aufhängungspunkten des Motors blieben deren zwei übrig. Da die Motoren keinen Halt im Rahmen fanden, waren die Auspuffanlagen ständig lose und am Flansch undicht. Die Auspuffstehbolzen rissen reihenweise aus. So what. Die Amis gingen zum Dealer und holten sich das Folgemodell, die Dinger kosteten ja fast nichts… Yamaha hatte im Produkteinführungsjahr 1980 jede Menge Ärger und enorme Gewährleistungskosten mit den LC´s und musste nachbessern.

Zusammengefasst lässt sich festhalten, dass es den Yamaha-Technikern gelungen war, die Anzahl der Bauteile um etwa ein Drittel zu reduzieren und sowohl an der Verwendeten Materialmenge als auch an der Materialgüte dramatisch zu sparen. Nun stimmten die Gewinnmargen, und die Rennerei finanzierte sich aus dem brummenden Verkaufsgeschäft an Maschinen und Ersatzteilen. Engpässe zwangen in Deutschland die Händler, neue Maschinen zu zerfleddern, da die Japaner mit ihren Ersatzteillieferungen nicht nachkamen.

Yamaha RD LC Tuning

„Racing-Technik durch und durch“ suggeriert der 1980er Verkaufskatalog – ein Bluff. Das Motorgehäuse des abgebildeten TZ-Renners geht auch im Modelljahr 1980 noch auf die luftgekühlte RD von 1973 zurück. Mit Motorkomponenten der LC würde ein TZ-Renner auf der Rundstrecke beim ersten Vollgasritt verrauchen (Quelle: Heiner Jakob)

Yamaha RD LC Tuning

Mit den Rennmaschinen hatten die Serienmodelle keine Gemeinsamkeiten mehr – außer dass es sich um Zweitakter handelte. Das war in den 1970er Jahren noch gänzlich anders gewesen. Damals war die TZ noch ein Ableger der Serie (Quelle: Heiner Jakob)

 

Yamaha RD LC tunen – ist die „Liquid Cooled“ überhaupt dafür geeignet?

Eigentlich ist die Frage, ob man eine Yamaha RD LC tunen kann,  schon absurd. Wer Glasknochen hat, sollte sich nicht als Sprinter versuchen. Die LC ist minimalistisch so ausgezirkelt, dass sie nur bei guter Behandlung und sanfter Fahrweise 50.000 Kilometer Laufleistung mit einer Kurbelwelle erreichen kann. Voraussetzung ist der gepflegte, unangetastete Serienzustand. Meistens ist da aber schon die dritte Kolbengarnitur verbaut. Bei scharfer Fahrweise knirscht es bei 20.000 Kilometer Laufleistung oder auch deutlich früher im Motor. Oft kollabiert das rechte Kurbelwellen-Hauptlager, ohne dass man es mitbekommt. Es ist dem versierten Tuner ohne weiteres möglich, dem LC-Motor zu einer enormen Leistungsentfaltung zu verhelfen. 70 PS sind immer drin. Es geht auch noch erheblich mehr.

Leider ist es nicht möglich, die gesteigerte Leistung über mehr als einen minimalen Zeitraum hinweg abzurufen. Die Standfestigkeit geht gegen Null, wenn man richtig am Kabel zieht. Oft ist nach wenigen Minuten Vollgas Schicht im Schacht. Selbst bei vorsichtiger Gashand ist bald Schluss. Die Motoren sind solchen Beanspruchungen nicht gewachsen. Der gesamte Unterbau ist zu zerbrechlich. Hinzu kommt, dass der Wuchtfaktor der Kurbelwelle bei der 350er nicht stimmt und das rechte Kurbelwellenhauptlager schon im Serienzustand zum Zerbröseln neigt. Wozu also tunen, wenn man die Leistung nicht nutzen kann?

Yamaha RD LC tunen

Dank des Yamaha „Baukastens“ lässt sich der Wunsch nach mehr Leistung, Zuverlässigkeit und Individualität mit Serienteilen anderer Modelle verwirklichen. In dieser 4L0 sorgt der Motor des Bashee Quad für Vortrieb, in Verbindung mit der Auspuffanlage der 1WW. Zylinder und Kolben des Banshee-Motors sind robuster als alles, was in den RD´s Verwendung fand. Auch die kräftigen Getriebezahnräder und die enge Stufung der unteren Gänge sind eine interessante Alternative. „Plug & Play“ funktioniert bei einem solchen Umbau allerdings nicht.

Tuning im Sinne des Wortes

Fallen Begriffe wie Racing und Tuning, scheinen sich seltsame Vorgänge in den Hirnen abzuspielen. Wie elektrisiert schnellt die Aufmerksamkeit hoch, gleichzeitig schwindet das gesunde Urteilsvermögen. Mit Racing und Tuning werden Kunden geködert. Das war schon immer so, und es wird sich nicht viel daran ändern. Dabei wird kaum ein Begriff so fehlinterpretiert wie das aus dem Englischen stammende Wort „Tuning“. Frisieren, Tunen, schneller machen – viele Begriffe geistern durch die Szene. An den Kanälen herum schnitzen und für teures Geld leistungsmindernde Racing-Pötte montieren, ein jeder soll es machen wie er will. Schließlich dient es ja auch der Sicherung von Arbeitsplätzen.

Tuning heißt sehr frei übersetzt „Feinarbeit“. Ziel ist nicht die ultimative PS-Zahl. Vielmehr geht es darum, auf der Basis der bestehenden Konstruktion die Leistung freizusetzen, die in den Katalogen versprochen wird, eventuell ein Quäntchen mehr.

Die Serienstreuung bei den RD´s ist phänomenal. Da gibt es welche, die wie der Teufel rennen, und andere „ziehen keinen Hund vom Dippe“, wie wir in Südhessen zu sagen pflegen. Unterschiede sind nicht erkennbar, nicht an den Vergasern, nicht an den Zylindern, nicht an den Auspuffanlagen. Nicht erkennbar?

Wir haben es mit einer großzügigen Auslegung des Qualitätsbegriffs seitens Yamaha zu tun. Beim Viertakter mag dies weniger ins Gewicht fallen, bei Zweitaktern geben Nuancen den Unterschied: Hier eine etwas anders geformte Auspuffflöte, da ein Grat im Ansauggummi, dort eine unwuchtige Kurbelwelle, ein ungenau laufendes Polrad, schlecht fluchtende Lagersitze, eine ungenaue Zündung. Treffen ungünstige Toleranzen aufeinander, fällt die Leistung in den Keller. Zehn PS zu wenig bei der 4L0 sind eher die Regel als die Ausnahme. Die 250er ist etwas robuster und tendiert eher nach oben als nach unten, was die Leistungsentfaltung anbelangt. Das größte ungenutzte Leistungspotential schlummert in einer sorgfältigen Überprüfung und Montage aller Motorkomponenten und der gesamten Peripherie.

Der leider viel zu früh verstorbene Armin Collet war der Meister in dieser Disziplin. Allerdings war von ihm kaum etwas zu erfahren. Er machte aus seiner Kunst ein Geheimnis und nahm schließlich sein Wissen mit ins Grab. In seinem Notizbüchlein standen in einer Art Geheimcode seine Aufzeichnungen über Modifikationen, mit denen er RD´s mit kleinen Eingriffen schneller, kultivierter und sparsamer machen konnte. Für einen Hunderter brachte er der LC Manieren bei. Glaubt man den Erzählungen, waren die Maschinen nach der „Collet-Kur“ nicht wieder zu erkennen. Eine Sache, die der Collet viel verkauft hat, ist die Hubraumvergrößerung durch den Einbau der Kolben von der Yamaha DT 175 wie auch der 200er, letztere sollen etwas haltbarer sein. Wegen der kürzeren Kolben drehte er die Zylinder am Fuß um 2,5 mm ab und legte zum Ausgleich U-Scheiben unter die Zylinderkopfmuttern.

Vor dem Hintergrund, dass die 250er Motoren insgesamt viel besser laufen als die 350er, ist eine Hubraumvergrößerung mit Skepsis zu betrachten. Wegen 25 Kubik solch einen Aufwand zu treiben – Zweifel sind angebracht. Der LC-Motorunterbau ist sowieso zu schwach gebaut. Da sollte man nicht noch mehr Belastung draufpacken. Am Ende bleibt die Erkenntnis, dass der Reiz einer RD nicht in ihrer Motorleistung  liegen kann. Das können moderne Maschinen besser. Sie soll die versprochene Leistung bringen, aber auch nicht (viel) mehr. Der Fahrspaß einer Yamaha RD resultiert aus ihrem Konzept. Wenig Masse, super Fahrwerksgeometrie, spielerisches Handling. Dazu das zeitlose Design und der kernige Sound.

Fazit

Die Yamaha RD LC ist im konsequenten Serientrimm auch heute noch ein flottes Spaßmotorrad, schön zu dirigieren und bei ordentlicher Wartung und Pflege und ohne Vollgasprügelei ein treuer Begleiter – ein wenig durstig zwar, aber das sind die Fahrer(innen) mitunter ja auch…

 

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