„Kleider machen Leute. Kreidler macht Typen“ ist der Slogan von Frank Hellmuth, der mit seinem Kreidler-Dienst noch heute Zweiradbesitzer der einstigen Kult-Marke aus Kornwestheim mit Ersatzteilen und Serviceleistungen versorgt.

Zweiräder von Kreidler, allen voran der Kreidler Florett, bot vielen Jugendlichen die Möglichkeit der muffigen Spießigkeit des elterlichen Wohnzimmers der 1950er und 1960er zu entfliehen und die persönliche Freiheit zu entfalten. Die Moped-Marke aus Kornwestheim wurde somit Ausdruck eines eigenen Lebensgefühls für die deutsche Jugend, die in den späten 1960er Jahren für einen riesigen Mofa-Boom hierzulande sorgte.

Ein Kreidler-Mofa war ein Stück Freiheit für die Jugend der 1950-1960er Jahre

Ein Kreidler-Mofa war ein Stück Freiheit für die Jugend der 1950-1960er Jahre (Quelle: Auto & Technik Museum Sinsheim)

Da die frühen Kreidler-Modelle alles andere als Sportlichkeit ausstrahlten, dafür sich aber in Sachen Alltagsbetrieb Lorbeeren verdienten, frisierte die junge Käuferschaft ihren „Schwabenpfeil“ was das Zeug hielt. Denn ein Erfolgsgarant waren in jenen Tagen Gleichbauteile der leistungsstärkeren Kleinkrafträder, mit denen sich ein 2,9 PS starkes Florett Mokick problemlos hochzüchten ließ. Und so knatterten tausende „Rennzwerge“ mit blauer Rauchfahne und deutlicher Klangkulisse über unsere Straßen.

 

Kreidler Konkurs

Kreidler Mokicks waren beliebte Tuning-Objekte (Quelle: Auto & Technik Museum Sinsheim)

Trotz aller Erfolge musste die Kreidler Fahrzeuge GmbH & Co. nach einem erfolglosen Vergleichsverfahren am 12. März 1982 Konkursantrag beim Amtsgericht Ludwigsburg einreichen, was das endgültige Aus für 450 Mitarbeiter bedeutete. Doch wie kam es überhaupt soweit? Nach knapp 40 Jahren blicken wir auf den Untergang der einstigen Weltmeisterschaftsmarke zurück.

Die Anfänge der Firma Kreidler

Die Motorradherstellung ging aus den 1904 von Anton Kreidler gegründeten „Kreidler‘s Metall- und Drahtwerke“ hervor. Zunächst produzierte das Unternehmen diverse Metallerzeugnisse für die Elektrobranche, Bau- und Uhrenindustrie. Die Schwarzwälder Uhrenfabrik Kienzle dürfte vielen noch ein Begriff sein.

„Mehr als Hobby“, wie der Spiegel 1981 schrieb, „begann der unternehmungslustige Ingenieur auch mit dem Bau von Motorrädern und Mopeds. Den Entwurf für das erste Modell hatte der Anton Kreidler selber gezeichnet.“ Fünf Jahre nach Kriegsende begann Kreidler mit der Produktion des ersten Zweirads, der Kreidler K50, die das Unternehmen 1951 auf der IFMA dem Publikum erstmals vorstellte. 1957 wird die K50 überarbeitet und daraus das wohl bekannteste Modell geboren – die Kreidler Florett 50.

Die K50 war das erste Zweirad aus Kornwestheim

Die K50 war das erste Zweirad aus Kornwestheim (Foto: Auto & Technik Museum Sinsheim)

Von 1951 bis 1982 war Kreidler mit mehr als einer Million produzierter Mofas, Mopeds, Mokicks und Kleinkrafträder äußerst erfolgreich und bei der Kundschaft trotz üppiger Preise beliebt. Und so zählte die Kreidler-Gruppe in den besten Zeiten 6.000 Beschäftigte und erwirtschaftete jährlich über 300 Millionen DM Umsatz.

Kreidler feierte etliche Rennsporterfolge

Aufgrund der enormen Beliebtheit der 50 ccm Kleinmotorräder wurde 1959 für diese Motorradklasse auch eine eigene Rennserie geschaffen. Kreidler erkannte die absatzsteigernde Wirkung des Motorsports, engagierte sich prompt im Straßenrennsport und „schickte Werksrennmaschinen an den Start, die der Konkurrenz auch prompt den Auspuff zeigten.“, wie Classic-Motorrad schrieb. „Auch die erste, im Jahr 1961 neu geschaffene Europameisterschaft für 50 ccm Motorräder endete mit einem Doppelerfolg für Kreidler mit den Fahrern Hans-Georg Anscheidt und Wolfgang Gedlich.“

Kreidler feierte mit van Veen große Rennsporterfolge - hier die Maschine von Jan de Vries

Kreidler feierte mit van Veen große Rennsporterfolge – hier die Maschine von Jan de Vries (Foto: Auto und Technik Museum Sinsheim)

Als 1962 diese Klasse ins Programm der Motorrad-Weltmeisterschaft aufgenommen wurde, stiegen mit Suzuki und Honda zwei harte Gegner in den Ring, die sich auch gleich die Grand-Prix WM-Titel von 1962 bis 1965 sicherten. Bei den Deutschen Straßen-Meisterschaften aber dominierte Kreidler in diesen Jahren weiterhin.

Erst in den 1970er Jahren kam Kreidler mit Hilfe des niederländischen Importeurs van Veen aufs begehrte Treppchen. So gewannen die Fahrer Jan de Vries, Henk van Kessel, Ángel Nieto, Eugenio Lazzarini und Stefan Dörflinger zwischen 1971 und 1982 sieben von zwölf Weltmeistertiteln in der damals außerordentlich populären 50-ccm-Klasse mit einer Kreidler Rennmaschine.

Neben dem Straßen-Rennsport „verirrte“ sich Kreidler kurzzeitig auch in den Geländesport. Erfolgreicher war das schwäbische Unternehmen allerdings bei Weltrekordfahrten. Und so feierte Kreidler mit einer stromlinienförmig verkleideten Florett im Oktober 1965 einen Geschwindigkeits-Weltrekord von knapp 210 km/h – und dies mit einem 50 ccm Motörchen!

Als Zweiradhersteller setzte Kreidler nachhaltige Trends und war mit technischen Innovationen den Mitbewerbern auf der Straße und im Rennsport oft einen Schritt voraus. 2014 widmete das Auto und Technik Museum Sinsheim der Traditionsmarke eine Sonderausstellung, die hoffentlich in naher Zukunft wiederholt wird.

Fokus auf die Schnapsglas-Klasse

Kreidler konzentrierte sich konsequent auf die motorisierte „Schnapsglas-Klasse“ – die japanische Dominanz war hier noch nicht so stark ausgeprägt. Die selbst auferlegte Hubraumbeschränkung auf 50 ccm war aber auch eine Folge der deutschen Führerscheinvorschriften.

Kreidler-Florett mit Gebläsekühlung

Kreidler-Florett mit Gebläsekühlung (Quelle: Auto & Technik Museum Sinsheim)

Dort gab es nämlich die eigenständige Klasse der Kleinkrafträder, zwar mit einer Hubraumbegrenzung auf 50 ccm, die aber in Bezug auf Motorleistung und Höchstgeschwindigkeit keinen Limits unterlagen. Diese Kleinkrafträder durfte jeder ab 16 Jahren mit dem damaligen Führerschein Klasse 4 fahren, für den nur eine theoretische Prüfung, z.B. beim TÜV, abgelegt werden musste. Teure Fahrstunden entfielen.

Man konnte also, sofern man das nötige Geld für einen entsprechenden fahrbaren Untersatz hatte, nach einer kurzen theoretischen Prüfung mit einem vollwertigen Motorrad, das immerhin bereits ab Werk eine Spitzengeschwindigkeit von knapp 90 km/h erreichte, die Straßen unsicher machen. Dass es dabei aufgrund der fehlenden Erfahrung und der hohen Risikobereitschaft der jugendlichen Fahrer zu schlimmen Unfällen kam, verwundert nicht.

Kreidlers Florett war ein Best Seller bei den Mokicks

Kreidlers Florett war ein Best Seller bei den Mokicks (Quelle: Auto & Technik Museum Sinsheim)

Um gesetzlichen Regelungen zur Leistungsbeschränkung zuvor zu kommen, begrenzten die Hersteller von Kleinkrafträdern daher die Motorleistung freiwillig zunächst auf 5,3 und später auf 6,25 PS. Findige, manche mögen auch sagen unvernünftige, jugendliche Bastler gaben sich damit aber nicht zufrieden und frisierten ihre Zweiräder auf eine Motorleistung von 8 PS und mehr.

Schnitt durch den Mopedmotor

Schnitt durch den Mopedmotor (Quelle: Beademung, CC-BY-SA-3.0-DE)

Der Kleinkraftrad-Boom ebbt ab

Nach exorbitant gestiegenen Unfallzahlen, erhöhten die Versicherungsgesellschaften die Prämien für Haftpflichtversicherungen in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre um fast 300%, was den Kleinkraftrad-Boom ab 1976 brutal beendete. Gleichzeitig verschafften Mofas, Mopeds und Kleinkrafträder ihren Besitzern auf einmal nicht mehr das Prestige, insbesondere beim anderen Geschlecht, das in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren die motorisierten kleinen Zweiräder so begehrenswert gemacht hatte. Die schicken Disco-Klamotten passten auch nicht so recht zu einem Fahrzeug, bei dem man Wind und Wetter ausgesetzt war.

Da half es auch nicht, dass der Gesetzgeber 1980 die Kleinkrafträder durch die Klasse der Leichtkrafträder (maximal Hubraum 80 ccm Hubraum, Höchstgeschwindigkeit 80 km/h) ablöste und Kreidler auf die geänderte Zulassungsvorschriften mit mehreren Leichtkrafträdern mit 80 ccm Hubraum reagierte.

Kreidler Florett 80L mit 80 ccm Hubraum

Kreidler Florett 80L mit 80 ccm Hubraum (Quelle: Auto & Technik Museum Sinsheim)

Das Ende von Kreidler

Nach Einführung der Leichkraftradklasse hatten Anfang Juni 1981 die führenden Hersteller bereits mehr als 10.000 Einheiten des neuen 80-ccm-Segments verkauft. Währenddessen kämpfte Kreidler aufgrund veralteter Produktionsanlagen mit gravierenden Engpässen in der Produktion und hatte bis dato maue 170 Maschinen an den Mann bringen können.

Der Spiegel fasst die Situation damals wie folg zusammen: „Als Alfred Kreidler, Chef der Stuttgarter Kreidler-Werke, kurz nach seinem 83. Geburtstag starb, hatten manche Maschinen in seiner Fabrik fast dasselbe ehrwürdige Alter erreicht wie ihr Besitzer. Hinfällige Maschinen wurden aus überdrehter Sparsamkeit nicht ersetzt, sondern repariert, was am Ende mehr als die Neuanschaffung kostete. Vorhaltungen des Betriebsrats, doch endlich in neues Gerät zu investieren, blockte der alte Herr mit dem Spruch ab: ‚Was 75 Jahre gut war, kann auch noch 50 Jahre halten.‘ Der Niedergang des einst blühenden Unternehmens ist ein Beispiel dafür, wie in die Jahre gekommene Firmenpatriarchen starr und stur das eigene Lebenswerk ruinieren.“

Anfang 1982 stand Kreidler bei seinen Gläubigern mit 30 Millionen DM in der Kreide, mit dem Rücken an der Wand und war auf der dringenden Suche nach einem Investor. Leider halfen da auch alle Bemühungen des Geschäftsführers Wolf-Dieter Gramatke, die schwäbische Traditionsmarke mit einer neuen Modellpalette aufzupolieren, nichts.

Der Untergang war nicht mehr aufzuhalten und der Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens wurde am 12. März 1982 beim Amtsgericht Ludwigsburg eingereicht. Die 10.000 auf Halde produzierten Maschinen sollten bis Ende September 1982 zu Schleuderpreisen den Händlern angeboten werden, die über die üblichen 18% Händlerrabatt noch weitere 20% Nachlass erhielten. So war das sportliche Kreidler Mokick RMC-S statt für 3.600 DM bereits für 2.230 DM zu haben. Eine 80’er Florett kostete statt knapp 4.000 Mark nur noch 2.400 DM, was dem Preis einer Honda MB-80 entsprach.

Die letzten Maschinen des Mopedherstellers wurden verramscht

Die letzten Maschinen des Mopedherstellers wurden verramscht (Quelle: Auto & Technik Museum Sinsheim)

Zur Gewährleistung der Ersatzteilversorgung sollten von den 450 verblieben Mitarbeitern noch 15 Mann der Belegschaft für zwei Jahre im Werk in Kornwestheim weiterarbeiten.

Nach Kreidler traf es auch Zündapp und Herkules

Binnen weniger Jahre gingen drei der renommiertesten Kleinkraftrad-Hersteller, Zündapp, Hercules und Kreidler, in Konkurs. In den Boomjahren hatten sie ausschließlich auf das Segment der 50-ccm-Zweiräder konzentriert, das auf einmal zu einem Nischenmarkt geworden war. Bei Kreidler kamen ein signifikanter investitionsstau und damit verbundene Engpässe in der Produktion hinzu, die der einstige Gründer zu verantworten hatte.

Heute sind diese Kreidler-Maschinen gesuchte Sammlerstücke, die von ihren Fans gehegt und gepflegt werden. Rund vierzig der schönsten Mopeds und Mokicks hatte das Auto & Technik MUSEUM SINSHEIM in einer Sonderausstellung 2014 präsentiert.

Die Rechte an der einstigen Traditionsmarke gehören heute dem Zweiradhersteller Prophete, der unter der Marke KREIDLER unter anderem Motorroller sowie klassische und moderne Klein- und Leichtkrafträder aus chinesischer Produktion vertreibt.

Wiederbelebung der Traditionsmarke 2016

Wiederbelebung der Traditionsmarke 2016 (Quelle: Nippon-Classic.de)