Yamaha stellte 1983 mit der XT 600 die erste 600 Kubikzentimeter Einzylinder Enduro vor. Wie bereits bei Ihrer Vorgängerin, der Yamaha XT 550, wurde auch hier von YAMAHA parallel eine leichtere, deutlich spartanischere Version für den Motorsport angeboten. Anders als bei der TT 500, die weitestgehend auf dem Straßenmodell der XT 500 aufbaute und sich von ihr lediglich durch kleinere Abweichungen unterschied, handelte es sich jedoch bei der neuen TT 600 erstmals um eine komplett eigenständige Konstruktion.

Die Yamaha TT 600 war als Hard-Enduro bekannt und berühmt

Die Yamaha TT 600 war als Hard-Enduro bekannt und berühmt (Foto: Nippon-Classic.de)

Die TT 600 war in allen Teilen kompromisslos und konsequent für den Geländesport konzipiert. Sowohl damals für den Besitzer wie heute für denjenigen, der eine TT 600 restaurieren möchte, eine teilweise teure Herausforderung: Eine Querverwendung von XT 600 und TT 600 Teilen aus dem YAMAHA Regal fiel (und fällt) im Prinzip kategorisch weg.

Die Yamaha TT 600 gehört in Deutschland zu den Exoten

In Deutschland sind die TT 600 Modelle der Baureihen 36A (1983-1985), 59X (1984-1989) und 3SW (1989-1991) seither Exoten. Sowohl die erste TT 600 mit dem Werks-Code 36A als auch die späteren Baureihen 59X und 3SW wurden nur bestimmten Märkten – hauptsächlich der USA – zugänglich gemacht. In Deutschland nie offiziell von YAMAHA vertrieben, blieb es einzelnen Händlern und engagierten Importeuren vorbehalten, die TT 600 hierzulande auf den Markt und in den Verkehr zu bringen.

1983 wurde von YAMAHA die erste 600 Kubikzentimeter Einzylinder Enduro vorgestellt

1983 wurde von YAMAHA die erste 600 Kubikzentimeter Einzylinder Enduro vorgestellt (Foto: Markus Lehmann)

Das war per Einzelabnahme zwar möglich, allerdings bot die Yamaha TT 600 gemäß ihrer Bestimmung nur ein Mindestmaß an verkehrstechnischer Ausrüstung und Komfort. So waren keine Soziusfußrasten vorgesehen, das kleine Kompaktinstrument hatte keinerlei Kontrolllämpchen, und der Verzicht auf ein Lenkschloss machte bei zugelassenen Modellen das (auch in den Papieren eingetragene) lästige Mitführen eines separaten Schlossen nötig. Selbst die über einen Trockenakku gespeiste Lichtanlage wies lediglich die in vielen Prüfbögen verzeichnete „in-etwa-Wirkung“ auf.

Yamaha TT 600

Das Kompaktinstrument verzichtet auf Kontrolllämpchen (Foto: Markus Lehmann)

Kerniger 44 PS Motor

Wer sich im Straßenbetrieb damit begnügen konnte, bekam von YAMAHA dafür ein beeindruckendes und ernstzunehmendes Motorsport-Gerät auf die grob profilierten Räder gestellt. Ein bärenstarker Motor mit nikasilbeschichteter Laufbuchse, der erstmals mittragend konstruiert war, leistete in seiner offenen Version kernige 44 PS. Das kurz übersetzte 5-Gang Getriebe leitete dabei die Kraft ohne Ruckdämpfung direkt ans Hinterrad weiter.

Yamaha TT 600

Der Motor leistete 44 PS (Foto: Markus Lehmann)

Auffallend auch die neu entwickelte Telekopgabel: mit 43 mm Standrohr-Durchmesser und einen phänomenalen Federweg von 300 mm war sie ein echter Leckerbissen. Die längere und robustere Aluminium Kastenschwinge wurde mit einem fein justierbaren und in Zug- und Druckstufe 6-fach einstellbaren Zentralfederbein mit separatem Ausgleichsbehälter angelenkt. Für den Federweg von 270 mm war hierbei ein spezielles MONO-CROSS Umlenksystem zwischen Rahmen und Schwinge verantwortlich, das bereits für die YZ Modelle entwickelt worden war. Aufgrund seiner kompakten Bauweise lässt es trotz beachtlichem Federweg die Sitzhöhe nicht zu stark ansteigen und gilt so vielleicht als das technisch beachtlichste Merkmal der TT 600.

TT 600

Die Federung war mit 300 mm vorn und 270 mm hinten ein echter Leckerbissen (Foto: Markus Lehmann)

Die TT 600 Rahmenkonstruktion war für dem Motorsport gemacht

Auch der Rahmen der TT folgte dem Motorsport-Lastenheft und war in seiner Konstruktion dem Leichtbau unterworfen. Der Bereich um den Lenkkopf war verstärkt, ein Oberrohr aus Rechteckprofil sollte für mehr Steifigkeit sorgen. Dagegen waren andere Bereiche eher filigran und leicht ausgeführt. Insbesondere beim Rahmenheck sorgten zu knapp bemessene Rohrdurchmesser bzw. Wandstärken bei späterer Verwendung der TT z.B. als Reise-Enduro für vermehrte Bruchneigung.

Yamaha TT 600

Das Rahmenheck der TT 600 war ein Sensibelchen (Foto: Nippon-Classic.de)

Feine Details aus dem Werks-Racing

Darüber hinaus ging YAMAHA mit der TT 600 durchaus in die Vollen, um der TT 600 feine Details aus dem Werksracing-Bereich mit in die Wiege zu legen: professionell konstruierte Schnellverschlüsse an der Gabel sowie an Schwinge und Bremsgestänge sorgten im Bedarfsfall für schnelle Radwechsel ohne den sonst üblichen Demontage-Aufwand. Die in Funktion und Größe auf ein zulassungsfähiges Minimum reduzierten Blinker und Lampenmaske konnten mit wenigen Handgriffen entfernt werden, die leuchtendem rot gehaltene Sitzbank war weit zum steil und kompakt gezeichneten Kunststofftank hochgezogen, um das Fahrergewicht in Kurven besser nach vorne verlagern zu können. Dazu gab es klappbare Brems- und Schalthebel sowie stabile Krallenfußrasten.

Yamaha TT 600

Lampenmaske, Blinker und Griffschalen … (Foto: Markus Lehmann)

Kurz: die TT 600 war ein Kraftpaket für Geländesportler, das gerade einmal 137 kg auf die Waage brachte.

Die Yamaha TT 600 war im Motorsport äußerst erfolgreich

Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten. Auf professionellem Terrain konnte die TT600 schon bei ihren ersten Einsätzen in der europäischen Viertakt-Meisterschaft mit Treppen-Platzierungen auf sich aufmerksam machen. Das französische SONAUTO Team unter Jean Claude Olivier setzte die TT 600 ebenfalls erfolgreich bei Enduro-Wettbewerben und Mehrstunden Cross Wettbewerben ein. Die Aura des spartanisch-marzialischen Kraftpakets umwehte die TT 600 fortan und sorgte für gute Absatzzahlen. Als sie im Jahre 1993 von der nachfolgenden TT 600 S abgelöst wurde, die als Neukonstruktion deutlich niedriger und insgesamt modisch weichgespült daherkam, war ihr ein legendärer Platz in der YAMAHA Modell-Historie sicher: Die Yamaha TT 600 kann getrost als letzte echte Hard-Enduro bezeichnet werden.

Die TT 600 war in allen Teilen kompromisslos und konsequent für den Geländesport konzipiert

Die TT 600 war in allen Teilen kompromisslos und konsequent für den Geländesport konzipiert (Foto: Markus Lehmann)

Modellmodifikationen der TT 600

Die TT 600 36A wurde schon ab 1984 modifiziert. Die neue Modellreihe hieß nun 59X und hatte einige Neuerungen im Gepäck. Die bislang am Vorderrad verbaute Duplex Trommelbremse wich erstmals einer zeitgemäßen Scheibenbremse. Mit Einkolben-Bremssattel und filigraner, gelochter Bremsscheibe ausgestattet, sollte sie der TT 600 nun zu deutlich verbesserter Bremsleistung verhelfen. Die Telegabel sprach jetzt noch etwas feinfühliger an und auch der Schwerpunkt wurde durch eine Verlagerung des Öltanks noch weiter optimiert.

Mit dem letzten Modellwechsel 1989 (Model Code 3SW) gingen vornehmlich optische Veränderungen einher. Neben einem erneut veränderten Schriftzug auf dem Tank wurden auch die Seitendeckel farblich umgestaltet. Der bislang rot gehaltene Rahmen war nun weiß lackiert, die Motoren wurden im Kontrast dazu in anthrazit gehalten (bislang schwarz) und erhielten einen neuen Motorschutz aus Aluminium. Aber auch technisch gab es einige Änderungen. Die maßgeblichste betraf erneut die Vorderradbremse: Die zu Recht wegen ihrer Bremsleistung kritisierte Einkolben-Scheibenbremse wurde nun von einem Zweikolben Bremssattel abgelöst. Hinzu kamen spürbare technische Verbesserungen bei Federbein und Telegabel. In dieser Form wurde die TT 600 bis zu ihrem Fertigungsende 1991 unverändert gebaut.

TT 600

Doppelkolbenbremse vorn (Foto: Markus Lehmann)

Die Enduro im Gebrauchtcheck

Die Yamaha TT 600 der Baureihen 36A/59X/3SW sind bei uns schon seit je her selten – immerhin wurden sie wie erwähnt nie offiziell in Deutschland vertrieben und waren stets nur als inoffizieller Import verfügbar. Die raren TT 600 haben bestimmungsgemäß ein meist viel beanspruchtes Leben hinter sich. Über die Jahre hinweg als reines Sport- und Spaßgerät am Leben erhalten, finden sich nur noch selten Exemplare im originalen Zustand. Malträtierte Getriebe und defekte Kurbelwellenlager, gebrochene Rahmenhecks und zusammengestückelte Vergaser sind eher die Regel als die Ausnahme.

Die Federung war mit 300 mm vorn und 270 mm hinten ein echter Leckerbissen

Die Federung war mit 300 mm vorn und 270 mm hinten ein echter Leckerbissen (Foto: Nippon-Classic.de)

Viele Teile sind nicht mehr oder nur noch schwer erhältlich. Hinzu kommt, dass neben verlebten Kunststoffteilen – die meisten sind gerissen, geflickt oder wurden einfach durch Fremdfabrikate ersetzt – auch der Kunststofftank dazu beiträgt, dass gebrauchte TT 600 oft viel von ihrer einstigen Schönheit eingebüßt haben. Durch ausgasende Benzindämpfe gelb geworden oder durch Lackierversuche ruiniert, geben die ehemals weißen PE-Tanks nach etwa 30 Jahren schon fast zwangsläufig ein eher trauriges Bild ab. Dennoch lohnt es sich, nach der kernigen Enduro mit dem bulligen Charakter und der fast schon extremen Sitzhöhe Ausschau zu halten.

Die weißen PE-Tanks sehen nach etwa 30 Jahren nicht mehr schön aus

Die weißen PE-Tanks sehen nach etwa 30 Jahren nicht mehr schön aus (Foto: Nippon-Classic.de)

Die Yamaha TT 600 aus diesem Beitrag ist mit einem Baujahr 1990 eine der letzten ihrer Baureihe. Sie wurde nach Komplettzerlegung von 2014 bis 2015 aufwändig restauriert, technisch überholt und teilweise modifiziert. So erhielt sie z.B. eine komplette Auspuffanlage aus Edelstahl sowie eine 12V Lichtanlage zur Verbesserung der Lichtausbeute. Abschließend wurde das Hinterrad auf Ruckdämpfung umgebaut. Alles Maßnahmen, um die TT 600 für ihr „zweites Leben“ auf der Straße langfristig zu rüsten …

Das Kompaktinstrument der Yamaha TT 600 verzichtet auf Kontrolllämpchen

Das Kompaktinstrument der Yamaha TT 600 verzichtet auf Kontrolllämpchen (Foto: Nippon-Classic.de)

(Autor: Markus Lehmann)