Die Honda XL 600 R kam 1983 als Nachfolgerin der Honda XL 500 auf den Markt, zu einer Zeit, in der der Wettbewerb um immer größere Brennräume in vollem Gange war. Zur „Blütezeit“ der Groß-Enduros erfreute uns der japanische Motorradhersteller zudem mit einigen sehenswerten Sondermodellen, die die Erfolge im Rallye-Sport für jedermann erlebbar machen sollten.

Offroad-Welle erfasste Europa

Mit deutlicher Verzögerung schwappte die große Offroad-Welle in den 1970er Jahren über den großen „Teich“ zu uns nach Europa. Die japanischen Motorradhersteller waren dank des amerikanischen Marktes mit einer umfangreichen Modellpalette bereits bestens gerüstet. In jeder Hubraumklasse hatten sie die richtige Enduro für Schotterpisten, Wald und Wiesen und kurvige Straßen parat.

Hondas XL-Baureihe blickt auf eine lange Tradition bis hin zu den Anfängen der „SL“-Enduros im Jahr 1969 zurück. Doch bis dato fuhr die bis dahin „Größte“, die Honda XL 500, als ewig Zweite im Dunstkreis der erfolgreichen Yamaha XT 500.

Honda legte sich mächtig ins Zeug

Für den Nachfolger der Halbliter-Enduro legte sich Honda mächtig ins Zeug und brachte die neue XL 600 R mit etlichen technischen Raffinessen auf den Markt. Erwähnt seien an dieser Stelle beispielsweise der RFVC-Brennraum mit den vier radial angeordneten Ventilen, die von einer einzigen Nockenwelle angetrieben werden. Dass die Honda XL 600 R mit großem technischem Aufwand kam, lag wohl auch daran, dass Enduro-Primus Yamaha im selben Jahr ebenfalls die neue XT 600 ins Rennen schickte.

Die XL 600 R "Pharaoh" beeindruckte die Motorradwelt ab 1985

Die XL 600 R „Pharaoh“ beeindruckte die Motorradwelt ab 1985 (Foto: Honda)

Honda hatte also einiges zu verlieren und wusste um die Notwendigkeit bei der XL 600 R zu Klotzen statt nur zu Kleckern. Denn mit dem Legendenstatus der XT 500 ausgestattet, setzte Konkurrent Yamaha die völlig neu entwickelte XT 600 Ténéré auch sofort medienwirksam bei der härtesten Wüstenrallye ein. Erst zwei Jahre nach dem Marktdebüt reagierte der Motorradhersteller aus Hamamatsu mit der aufgewerteten Honda XL 600 RM.

Die Honda XL 600 R kam aber auch mit längst bewährter Enduro-Technik daher, wie den langen Federwegen vorn wie hinten, einem aufwendigen Monoshock-Federungssystem und einer respektablen Bodenfreiheit bei einer gleichzeitig vertretbaren Sitzhöhe. Das Ganze gepaart mit einem niedrigen Gewicht und ausreichend Leistung und fertig war der perfekte Enduro-Hammer.

Honda XL 600 R

Die Honda XL 600 R musste sich gegen die Yamaha XT 600 Ténéré behaupten (Quelle: Kay Hubert)

Honda XL 600 R mit moderner Motortechnik

Honda spendierte der XL 600 R einen damals hochmodernen Einzylinder-Motor mit Vierventiltechnik und radial angeordneten Ventilen und einer aufwendigen Steuerung über Kipp- und Zwischenhebel. Die radiale Ventilanordnung im Zylinderkopf half dem 583 ccm großen Kurzhuber schon aus niedrigen Drehzahlen urgewaltige Kräfte zu freizusetzen. Hinzu kam eine exorbitanten Zylinderbohrung von 100 Millimeter bei nur 75 Millimeter Hub.

Technisch teilt sich die Enduro übrigens den Motor mit ihrem kleineren Straßen-Äquivalent, der Honda XBR 500.

Die erste Baureihe litt jedoch noch unter der Unart bei niedrigen Drehzahlen etwas unwillig Gas anzunehmen oder gelegentlich an der Ampel unterhalb von 2.000 U/min beim Gasgeben spontan abzusterben. Die Honda-Techniker reagierten ab dem Modelljahr 1985 auf diese Marotten mit kleineren Ein- und Auslassventilen, modifizierten Zylinderkopfkanälen sowie einen Doppelvergaser mit kleinerem Querschnitt. Zudem wurde die Verdichtung von 8,5 auf 9,0:1 angehoben.

Honda XL 600 LM mit 28 Liter Spritfass

Honda XL 600 LM mit 28 Liter Spritfass (Foto: Andi Kölzer)

Gegen lästige Vibrationen bekam das OHC-Triebwerk eine Ausgleichswelle, die wirkungsvoll ihre Arbeit verrichtete. Am wohlsten fühlte sich die Honda XL 600 R jenseits der 4.000 Touren. Ab da drehte der Einzylinder hemmungslos bis in den Drehzahlbegrenzer hinein und beschleunigte die 44 PS starke Enduro auf 160 Sachen. Hohe Geschwindigkeiten waren jedoch nicht ihre Sache und die Honda fing aufgrund des hohen Schwerpunkts und der langen Federwege ab 130 km/h vehement an zu pendeln.

Zudem zog sich die XL 600 R bei flotter Gangart rund sieben Liter Sprit durch den Doppelvergaser. In Kombination mit dem 10 Liter kleinen Tank war nach 150 Kilometern der nächste Stopp an der Zapfsäule vorprogrammiert. Deshalb zog die Zubehör-Branche mit großen Plastik-Spritfässern nach und Honda legte 1985 für einige Länder auch das Sondermodell „Pharao“ auf.

Sondermodell „Pharaoh“ von 1985

Sondermodell „Pharaoh“ von 1985 (Quelle: Honda)

Und sonst so?

Während andere Enduro-Modelle, wie beispielsweise die Kawasaki KLR 600 E oder die KTM XC 600 mit komfortablem Elektrostarter ihre Fahrer verwöhnten, bedeutete dies bei der Honda XL 600 R nach wie vor Beinarbeit. Ein beherzter Tritt auf den Kickstarter und der Donnerbolzen sprang sofort an. Dank des automatischen Ventilaushebers gehört die beschwerliche Suche nach dem oberen Totpunkt der Vergangenheit an.

In einem Vergleichstest von MOTORRAD im Jahr 1985 punktete die Honda XL 600 R im Vergleich zur bollernden Konkurrenz:

„…mit einem straff ausgelegten Fahrwerk, einem schmalen Tank und harter Sitzbank, mit kurzem Radstand und relativ steil stehender Telegabel…[…]…, was sie zur handlichsten und wendigsten Maschine macht… […]… In der Geometrie und Fahrwerksabstimmung ist die Honda XL 600 R so ausgelegt, dass sie gerade auf kurvigen Landstraßen allen überlegen ist…“

Neben der schlanken XL600R bot Honda von 1985 bis 1987 parallel die XL 600 LM mit E-Starter, großem 28-Liter-Tank, Schlauchlosreifen und Alu- statt Stahlschwinge an. Mittendrin legte Honda dann noch die XL 600 RM auf, die ebenfalls mit E-Starter und Aluschwinge auftrumpfte. Mit 13-Liter-Tank wog das 1986’er Modell nur 171 Kilogramm und war damit rund 20 Kilogramm leichter als die LM.

Honda XL 600 LM von 1986

Honda XL 600 LM von 1986 (Foto: Andi Kölzer)

Technische Daten Honda XL 600 R

Motor:

  • luftgekühlter Einzylinder-Viertaktmotor mit 589 ccm Hubraum
  • Bohrung: 100 mm, Hub 75 mm
  • eine oben liegende Nockenwelle über Rollenketten angetrieben
  • 4 Venitle über Kipp- und Schlepphebel betätigt
  • Leistung: 44 PS)bei 6500 U/min
  • Drehmoment: 51 Nm bei 5000 U/min
  • Kickstarter mit automatischen Ventilausheber
  • Fünfganggetriebe

Fahrwerk:

  • Einschleifen-Stahlrohrrahmen
  • Telegabel mit 39 mm Standrohren und 229 mm Federweg
  • Stahlschwinge mit Pro-Link Zentralfederbein und 203 mm Federweg hinten
  • Bremsen: vorn Scheibenbremse 256 mm, hinten Trommelbremse 130 mm,
  • Reifengröße: vorn 3.00-21 und hinten 5.10-17.

Abmessungen und Fahrleistungen:

  • Radstand: 1410-1445 mm
  • Sitzhöhe: 820-860 mm
  • Bodenfreiheit: 270 mm
  • Gewicht 145-155 Kg
  • Tankinhalt: 10-12 Liter (je nach Modelljahr)
  • Höchstgeschwindigkeit: 160 km/h
  • Beschleunigung 0–100 km/h: 5,6 Sekunden