Permanenter Gegenwind beim Motorradfahren war Craig Vetter in den 1970er Jahren ein Dorn im Auge. Also schnappte er sich ein Stück Kunststoff und feilte so lange daran herum, bis er nach unzähligen Versuchen die Form seines Lebens vor sich hatte. Die Windjammer-Verkleidung ist eine seiner herausstechenden Entwürfe und vielen Motorradfahrern von damals bekannt. Denn mit ihrer universellen Konstruktion ist die Windjammer-Verkleidung nicht auf bestimmte Motorrad-Modelle festgelegt, sondern passt auf jedes Bike. Dank Craig Vetter ist Tourenfahren danach nicht mehr das Gleiche. Heute sind seine ersten Verkleidungsentwürfe begehrte Sammlerstücke.

Visionär und Tüftler: Craig Vetter

Visionär und Tüftler: Craig Vetter (Quelle: Craig Vetter Archiv)

Motorradverkleidungen gab es schon früh

Allerdings ist die Motorrad-Verkleidung keineswegs eine Erfindung des amerikanischen Designers und Tüftlers. Schon vor fast einhundert Jahren haben Hersteller über aerodynamischere Formen ihrer Motorräder nachgedacht. So war die Majestic des französischen Herstellers Motorcycles Majestic mit dem stromlinienförmigen Pressstahlrahmen bereits 1928 einer der frühen Versuche den Luftwiderstand zu optimieren.

Vor allem aber im Rennsport etablierten sich Motorradverkleidungen recht früh. Denn ein aerodynamisch ideales Motorrad wird von einer „weich gerundeten, nicht zerklüfteten Front, die sich sanft nach hinten verjüngt, umschlossen. Diesem Prinzip folgend erklärt sich das außergewöhnliche Design einer NSU Rennmax „Delphin“ von 1953 oder der Gilera Saturno.

Gilera mit Rennverkleidung beim Schottenring Classic Grand Prix

Gilera mit Rennverkleidung beim Schottenring Classic Grand Prix (Foto: Nippon-Classic.de)

Aber um den Rennsport ging es Craig Vetter nicht, sondern darum lange Touren mit dem Motorrad für jedermann so komfortabel wie möglich zu machen.

Überholmanöver aus dem Windschatten

Craig Vetter wurde am 28. Juli 1942 in Selma, Alabama, geboren und begann Anfang der 1960er Jahre an der University of Illinois Produktdesign zu studieren. Sehr schnell begeisterte sich Vetter an den effizienten Motorrädern, mit denen die japanischen Hersteller – allen voran Honda – in den frühen 1960er Jahren die Vereinigten Staaten überschwemmten.

Ein Freund von ihm fuhr nach seinem Abschluss mit seiner 250er Honda von Illinois nach Colorado, um an einer Design Conference teilzunehmen. Diese Fahrt inspirierte Craig Vetter derart, dass er die Reise mit seiner Yamaha 305 im darauffolgenden Jahr ebenfalls unternahm. Allerdings bereiteten Vetter das schnelle Fahren auf offenen Straßen kein wirkliches Vergnügen. Erst ein überholender LKW erlaubte es ihm im Windschatten entspannt, aufrecht und ohne zusammengekniffene Augen zu fahren.

„Plötzlich konnte ich die Fahrt genießen“, erinnert sich Vetter. „Ich konnte mich aufsetzen, meine Augen öffnen und meine Umgebung genießen. Da wurde mir klar, dass ich eine Art Windschutz wollte.“

Wie so oft, braucht es besondere Momente, die einen prägen und einen Prozess anstoßen, an den niemand zuvor dachte. Bei Craig Vetter war es der Road-Trip zur Aspen Design Conference. Dort sprach sein Vorbild, Richard Buckminster Fuller, eine Legende in Sachen Industriedesign, dessen Plädoyer „mit weniger mehr erreichen“ den jungen Vetter maßgeblich in seinem späteren Wirken beeinflusste. Dieses schlichte Mantra für den effektiven Umgang mit Ressourcen hat heute einen höheren Stellenwert denn je. Für Craig Vetter war es der Anstoß Motorradfahren komfortabler zu machen.

Die Universelle Windjammer-Verkleidung von Craig Vetter an einer Honda GL 1000

Die Universelle Windjammer-Verkleidung von Craig Vetter an einer Honda GL 1000 (Foto: Nippon-Classic.de)

Craig Vetter – Designer, Rennfahrer und Unternehmer

Während Vetters Kommilitonen nach dem Designstudium bei großen Automobilkonzernen anheuerten, hatte der junge Craig in Sachen beruflicher Zukunft ganz andere Vorstellungen. 1966 gründete er seine eigene Firma, damals noch in einer improvisierten Werkstatt, wo die ersten Entwürfe seiner Motorrad-Verkleidung entstanden.

An CAD, also Computer Aided Design, war damals noch nicht zu denken. Als pragmatisch geprägter Mensch besorgte er sich daher Zimmermannswinkel, Kartonagen und ein anpassungsfähiges Holzfasergewebe namens Masonit und macht sich ans Werk die geometrischen Formen seiner Motorradverkleidungen zu modellieren. Nach einigen Wochen des Experimentierens hat er seiner Meinung nach die „geeignete Form“ gefunden.

Obwohl Craig Vetter einen „Crashkurs zum Mischen und Laminieren von Harzen“ absolvierte, ließ er die erste Halbschale aus Fiberglas lieber von jemanden fertigen. Diesen Verkleidungsprototyp montierte er an seiner Yamaha und testete sie unter realen Bedingungen.

Windjammer Verkleidung

Damals war Computer Aided Design noch Fiction (Quelle: Craig Vetter Archiv)

Die Windjammer Tourenverkleidung von Vetter

In der ganzen Zeit von 1967 bis 1981 wurde die legendäre Windjammer-Verkleidung aus Fiberglas und in Hand gefertigt. Trotz Manufakturansatz setzte Craig Vetter zehntausende dieser Vollverkleidungen mit der innovativen Formgebung ab. Revolutionäre war aber vor allem Vetters Ansatz diese als universelle Motorradverkleidung für alle gängigen Tourenmotorräder ab 500 ccm Hubraum zu fertigen. Verschiedene Halterungen für jedes Motorradmodell und eine Teilung in eine obere Cockpit- und untere Motorverkleidung machten die Vetter Tourenverkleidung flexibel und modellübergreifend einsatzbar. Scheinwerfer, Blinker und Außenspiegel gehörten stets dazu.

Die Windjammerverkleidung an der der Honda GL 1000

Die Windjammerverkleidung an der der Honda GL 1000 (Foto: Nippon-Classic.de)

Tatsächlich kam das Geschäft mit den Windjammerverkleidungen aber erst in den 1970er Jahren so richtig in Gang. Die Hersteller brachten immer großvolumigere Motorräder auf den Markt. In dieser Zeit erweiterte Vetter seine Universalverkleidung um weitere Komfortfunktionen wie Stauraum, elektrische Anschlüsse, Radio und Scheinwerfereinstellung. Damit war die Windjammer-Serie ideal für größere Motorräder vom Schlag einer Honda CB750 Four, Honda GL 1000 Goldwing oder Suzuki GS 1000. Aber auch kleinere Maschinen wie die Honda CX 500 mauserten sich mit der Windjammerverkleidung zu komfortablen Tourenmotorrädern. Später ergänzte Graig Vetter seine Verkleidung um ein Kofferpaket, bestehend aus Seitenkoffern und Top-Case mit integriertem Rücklicht. Ihr ahnt schon, wohin die Reise geht!

Die universelle Motorradverkleidung war zweiteilig und integrierte Scheinwerfer und Blinker

Die universelle Motorradverkleidung war zweiteilig und integrierte Scheinwerfer und Blinker (Foto: Nippon-Classic.de)

Natürlich war die Windjammer-Verkleidung in einer von Naked Bikes dominierten Zeit mit ihrer fließenden Optik auch ein echter Hingucker. Die Verkleidung mit Windschutzscheibe vereinte Design und Funktionalität in nur einem Zubehörteil.

Graig Vetters Windjammerverkleidung passte auf alle Motorradmodelle

Graig Vetters Windjammerverkleidung passte auf alle Motorradmodelle (Foto: Nippon-Classic.de)

Ein neuer Motorrad-Typ entsteht

Mit stetigem Verkauf der Windjammerverkleidung wurde auch Honda auf Graig Vetter aufmerksam und beauftragte ihn auch für den japanischen Hersteller zu arbeiten. Als Honda 1974 die erste Goldwing zu den Händlern rollte, sollte sie eigentlich als sportliches Motorrad der potenten Kawasaki Z1 900 Super Four Paroli bieten. Fahrwerksschwächen vereitelten Hondas damaligen Plan bekannterweise. Dafür punktete die schwere GL 1000 aber mit einem seidenweichen Vierzylinder-Motor, der ideal für lange Touren war.

Nun mussten sich nur noch zwei „Puzzle-Teile“ ineinanderfügen. Die zweite Generation von Hondas Langstrecken-Sänfte, die GL 1100, kam 1979 dann mit Vollverkleidung auf den Markt. Bei genauer Betrachtung fallen sofort das zweiteilige Design der Goldwing-Verkleidung sowie die integrierten Blinker und Schweinwerfer auf. Auch Kawasaki schlief nicht und brachte im selben Jahr die ZN 1300 mit identischem Konzept heraus.18

Die Ähnlichkeit der Honda GL 1100 Verkleidung zur Windjammer-Verkleidung ist unverkennbar

Die Ähnlichkeit der Honda GL 1100 Verkleidung zur Windjammer-Verkleidung ist unverkennbar (Quelle: Honda)