Müde, aber immer noch voller Eindrücke von dem Wahnsinnsspektakel kehrte ich gestern Abend vom 11. Glemseck 101 2016 heim. Die letzten Ausgaben des Glemseck 101 waren schon schrill, bunt und laut. Aber am vergangenen Wochenende erlebte ich einen einzigartigen Flash der Sinne. Bei herrlichem Wetter pilgerten zehntausende PS-Junkies zum größten Motorradtreffen Europas – nochmals mehr als in den Jahren zuvor. Und Samstagmittag war das Festival-Gelände bereits zum Bersten voll.
Glemseck 101 2016 – international, manchmal grotesk und immer sympathisch
Bärtige Jungs mit Tattoos in ärmellosen Shirts bahnten sich auf ihren Choppern den Weg durch die Massen in Richtung Zeltplatz. Unzählige Café Racer Fahrer zogen mit ihren aufgemotzten Bikes staunende Blicke auf sich – ganz nach dem Motto: „Fast N‘ Loud“. Und einige schräge Typen stellen den Motorrad-Kult des Café Racer-Events mit ihren total verrückten Rat Bikes mal eben auf den Kopf und zauberten den vorbeilaufenden Besuchern spontan ein Lächeln ins Gesicht.
Einer dieser Rat Biker ist Werner aus Holland, der – nach näherem Hinsehen konnte ich es auch erkennen – seine alte Honda CX 500 in jahrelanger ‚Sammellust‘ mit hunderten Gimmicks bestückte und so die Güllepumpe zu einer unkenntlichen, aber sehr sympathischen Groteske verwandelte. Seine Freundin findet das Bike allerdings total hässlich. „Sie sagt immer, ich finde es schöner, wenn er fährt als wenn er wieder zurückkommt.“
Schon längst ist das Glemseck 101 ein Biotop für Motorrad-Verrückte aus ganz Europa und darf guten Gewissens als das angesagteste Café Racer Treffen auf dem Kontinent bezeichnet werden. Die Biker-Szene ist international und feiert gemeinsam vor den Toren Leonbergs. Ein Spirit, den man einfach hautnah erlebt haben muss.
‚Polizeialarm‘ an der ehemaligen Solitude-Rennstrecke
Die Organisatoren des Glemseck 101 verdienen ein ganz großes Lob, das muss hier unbedingt erwähnt werden! Insbesondere die Sicherheitskräfte sorgten auf und rund um das Festival-Gelände für einen reibungslosen wie sicheren Ablauf des Motorrad-Events. Schön ist, dass die ‚Offiziellen‘ das Glemseck 101 aber nicht nur unterstützen und fördern, sondern auch aktiv mit dabei sind. So eröffneten Landrat Roland Bernhard sowie der Polizeichef von Ludwigsburg den Sprint-Wettbewerb auf zwei historischen grün-weißen Polizei BMWs, hatten sichtlich ihren Spaß und waren mit voller Konzentration bei der Sache.
Spektakuläre Konstruktionen für die 1/8 Meile Sprints
Langjährige Fans des Glemseck 101 wissen, dass im Mittelpunkt des Biker-Happenings die heißen Beschleunigungsrennen auf der 1/8 Meile stehen. Namhafte Bikebuilder und Privatiers gingen auch in diesem Jahr mit ihren verrückten Konstruktionen an den Start.
Für großes Aufsehen sorgte URBAN MOTORS mit ihrer „Easy Like Sunday Morning“ auf Basis einer 350er Jawa von 1964. KRT Framework lieferte Verkleidung und Gabelkonstruktion für diesen Skinny Dragster. Urban Motors ging es dabei nicht um Schnelligkeit, denn „wer langsamer fährt, wird länger gesehen“. Und so hatte die ‚silberne Flunder‘ beim „Essenza-Sprint“ keine Chance gegen ihre Kontrahenten. Einen Design-Preis verdient dieses schmale und ultra-lange Show-Bike aber allemal. Denn die Berliner Custom-Schmiede zeigten mit der „Easy“ mal wieder unmissverständlich auf, dass sie bekannte Grenzen überwinden und neue Maßstäbe setzen können.
Christoph Madaus präsentierte ein ebenfalls spektakuläres Motorrad – die „TwinTrax“ mit den zwei gekoppelten Harley-Davidson Motoren. In 12 Jahren stetiger Arbeit entstand dieses Concept-Bike bei der GERMAN MOTORCYCLE AUTHORITY. Mit zweimal 1.340 ccm Hubraum und zweimal 80 PS Leistung trat die 400 Kilogramm schwere „TwinTrax“ auf der 1/8 Meile beim Show-Sprint an…und unterlag der leichtgewichtigen Konkurrenz. Der Tuning-Schmiede ging es mit dem Show-Bike auch nicht um Sieg. Sie wollten mit der „TwinTRax“ verdeutlichen, was im Custom-Building möglich ist. Respekt vor diesem Motorrad!
Spitzen-Rennfahrer und Bikebuilder-Elite
Bevor die Sprintrennen starteten, traf ich kurz Dirk Oehlerking auf der Händlermeile, der sich entspannt mit Siegfried Stütz unterhielt – dem Erbauer der seltenen ‚Stütz Turbo-BMW‘, die Dirk nach langer Suche für seinen ‚BMW Sprint-Boxer‘ vor zwei Jahren kaufte. Siegfried Stütz kam extra zum Glemseck 101, um mit Dirk den Motor für den Sprint-Wettbewerb optimal einzustellen.
Auch in diesem Jahr ging wieder das ‚Who-is-Who‘ der Motorsport-Szene für die großen Hersteller und Zubehörspezialisten an den Start. So konnte Kawasaki abermals die italienische Stunt- und Rennfahrerin Francesca Gasperi gewinnen, die mit einer umgebauten Vulcan S im Rahmen der „Essenza-Sprints“ an den Start ging. Die Vorgaben an die Hersteller waren klar: zwei Räder, zwei Zylinder und maximal 1.200 Kubikzentimeter Hubraum. In Zusammenarbeit mit Höly & Warm-Up entstand die „Underdog“ getaufte Kawa, die eigentlich noch einen Turbo bekommen sollte, was aber so kurzfristig nicht mehr funktionierte. Trotzdem sicherte sie sich souverän den 2. Platz im Sprint-Duell vor dem vierfachen Superbike-Meister Carl Fogarty, der mit einer Triumph Thruxton R siegte.
Vom Pech verfolgt war Paniz Adnan, denn die Suzuki SV650 „Little Bastard“, mit der sie starten sollte, kam aufgrund technischer Probleme nicht mehr zum Einsatz. Schade.
Mit ordentlich Budget ausgestattet, schickte die große Münchener Motorradschmiede Nate Kern aus den USA, mehrfacher Daytona-Gewinner, auf der R nineT „Goldrausch“ an den Start. Nate konnte sich zwar in einem Lauf gegen Conor Cummins mit der „AMA Superbike Honda Bol d´Or“ durchsetzen, unterlag aber später der stylishen Suzuki „Fat Mile“, die bereits vor zwei Jahren mit von der Partie gewesen ist. Den Sieg beim „International Sprint“ sicherte sich schließlich Peter Pilz mit seiner betagten, aber alles andere als müden Suzuki GS1100 „Shiny Harry“ mit Harris-Rahmen.
Schön (und) schnell – Frauenpower beim Glemseck 101
Zubehörspezialist Louis machte es bis zum Schluss spannend und enthüllte quasi erst beim Glemseck 101 die „Lemmy“ auf Basis der Honda VFR1200F. Randnotiz: Über den gelungenen VFR-Umbau wird Nippon-Classic.de bei Gelegenheit ausführlich berichten. Kay Blanke und Master Mechanic, Martin Struckmann, gaben bereitwillig Auskunft zu diesem einzigartigen Bike-Projekt.
Für Louis pilotierte die sympathische Stunt-Fahrerin Mal-Lin Senf die „Lemmy“ erfolgreich in mehreren Sprint-Rennen. Das Zweirad-Model aus Hamburg setzte sich mit der 160 PS starken Honda nicht nur gegen die ‚grüne‘ Konkurrenz durch, sondern forderte auch Organisator Jörg Litzenburger beim „Ladies Choice“-Sprint heraus und zeigt ihm wer tatsächlich das starke Geschlecht auf zwei Rädern ist.
Nach etlichen Läufen bewiesen alle Ladies mit einem knallharten Vorsprung von 6:2, dass sie die Maschinen bestens im Griff haben. Die Jungs hatten das Nachsehen, sahen es aber (einigermaßen) gelassen, auch wenn es an der Ehre nagte.
‚Sultans of Sprint‘ – eine Klasse für sich
Über die ‚Sultans of Sprint‘ habe ich bereits mehrfach berichtet. Mit Maskeraden und schrägen Kostümierungen ihres „Trosses“ zogen die Sprint-Champions in die Arena an der ehemaligen Solitude-Rennstrecke. Dem Publikum boten die ‚Sultans‘ mal wieder eine einzigartige Show und feierten sich und alle Fans mit diesem außergewöhnlichen Rennspektakel.
Auch in diesem Wettbewerb – der auf der Intermot in Köln fortgesetzt wird – lagen Freud und Leid dicht beieinander. Tommy von Schlachtwerk, Favorit und ein echter Heißsporn, schied leider mit defekter Kupplung an seinem „Skinny Beast“ nach dem Probelauf aus. Im Finale setzten sich dafür die Young Guns aus der Schweiz mit ihrer Moto Guzzi „Ferdinand The Sparrow“ durch und fuhren den Sieg ein. Marco Zesiger („Zesi“) pilotierte den Dragster in Bestzeit über den Asphalt. Und Nik Heer bekam zur Belohnung Küsschen von seiner Freundin, die den Spaß mit Leidenschaft unterstützt. Auf den zweiten Platz fuhr ‚Gearhead‘ Sèbastien Lorentz mit seinem „BMW Sprintbeemer„.
Weitere Eindrücke vom Glemseck 101 gibt es in der Fotoshow.
Hinterlasse einen Kommentar