Japan erfindet sich neu – der Wandel zur Industrienation
Mitte des 19. Jahrhunderts stand Japan noch immer unter dem starken Einfluss einer von Kaiserhof und Shogunat geprägten feudalen Gesellschaft. Das Land sperrte sich weitestgehend einer gesellschaftspolitischen Umwälzung nach westlichem Vorbild und schottete sich nach außen stark ab. Innere Reformen waren bislang ausgeblieben. Aber es war abzusehen, dass sich das Land der aufgehenden Sonne nicht für immer westlichen Einflüssen entziehen kann. Unter dem Druck der USA öffneten die Japaner 1854 ihre Häfen für amerikanische Handelsschiffe, die dort auf dem Weg von San Francisco nach Shanghai halt machen wollten. Nach jahrelangen innenpolitischen Machtkämpfen erhielt Japan 1889 eine neue Verfassung. Die Macht des Tennos war wieder erstarkt. Der noch junge Kaiser reformierte den einstigen Feudalstaat in kürzester Zeit hin zu einer modernen Industrienation. Dank des großen Interesses des Kaisers setzten sich westliche Technologien zunehmend durch und halfen Japan den eigenen Führungsanspruch gegenüber Europa und den USA geltend zu machen.
Genau auf diese Zeit geht der Ursprung der heutigen Suzuki Motor Corporation zurück. Bevor sich Suzuki jedoch auf die aktuelle Produktion von Motorrädern, Automobilen und Bootsmotoren spezialisierte, war das Unternehmen in einem ganz anderen Geschäftsfeld tätig.
Michio Suzuki als wissbegieriger Unternehmer mittendrin
Als Michio Suzuki 1887 als zweiter Sohn eines Baumwollplanzers geboren wurde, fertigte der damals schon 50-jährige Shozo Kawasaki seit neun Jahren Transportschiffe nach europäischem Vorbild und gestaltete den Aufstieg zur japanischen Industrienation aktiv mit.
Michio Suzuki begann 1901 eine Lehre bei einem Zimmermann, bei dem er sieben Jahre unter Vertrag stand. Nach drei Jahre orientierte sich sein strenger Lehrmeister um und konzentrierte sich fortan auf die Produktion von Webstühlen. In dieser Zeit eignete sich Michio ein umfassendes Wissen an, so dass er mit Ende seiner Ausbildung beschloss selbst Webstühle herzustellen. Michio Suzuki war zu jener Zeit gerade einmal 21 Jahre alt als er aus Holz und Eisen einen enorm leistungsfähigen Webstuhl für seine Mutter baute. Dieser Webstuhl erlaubte es ihr zehnmal schneller zu weben als auf den herkömmlichen Konstruktionen. Die Produktivität der Maschine sprach sich schnell herum, was ihm eine gewaltige Nachfrage bescherte. Mit vollen Auftragsbüchern im Rücken gründete er 1909 seine erste Textilmaschinenfabrik und beschäftigte weniger Jahre später bereits 60 Mitarbeiter. Die Geschäfte liefen grandios und die Suzuki Loom Works versorgte landesweit nicht weniger als 4.500 Spinnereien mit seinen fortschrittlichen Webstühlen.
Für die weitere Expansion nahm die Firma 1920 an der Börse frisches Kapital auf und wurde in die Kapitalgesellschaft Suzuki Loom Manufacturing Co. mit dem 33-jährigen Michio Suzuki als Präsident umgewandelt. Diese Gesellschaft wird als Ausgangspunkt der späteren Suzuki Motor Company angesehen.
Neben der Entwicklung von immer besseren Webstühlen faszinierten Suzuki auch Automobile. Erste Tüfteler versuchten sich schon Anfang des 20. Jahrhunderts mit der Kopie europäischer oder amerikanischer Autos. Doch von einer echten Automobilindustrie war Japan zu jener Zeit Lichtjahre entfernt. 1936 kaufte Michio Suzuki einen englischen Austin Seven, den er mit seinem Chefingenieur zu Forschungszwecken zerlegte, um die Funktionsweise eingehend zu studieren. Ein Jahr später präsentierte er bereits einen ersten eigenen Prototyp, bei dem es auch zunächst blieb. Denn ab 1937 musste Suzuki seine Fabriken auf Kriegsproduktion umstellen und das japanische Militär mit Munition beliefern.
Der Stoff, aus dem die Träume sind – Suzuki im Nachkriegs-Japan
Nach Kriegsende stand Michio Suzuki mehr oder weniger vor einem Scherbenhaufen. Das lukrative Geschäft mit Webstühlen war eingebrochen und viele der Produktionseinrichtungen in Folge alliierter Luftangriffe zerstört. In den ersten Jahren hielt sich das Unternehmen daher mit der Fertigung von Heizlüftern und Landmaschinen über Wasser. Erst mit dem Import amerikanischer Baumwolle belebte sich die Nachfrage nach Webstühlen langsam wieder.
Zur gleichen Zeit begann Soichiro Honda die japanische Bevölkerung in der Stunde null zu mobilisieren. Honda verbaute kleine Hilfsmotoren aus Heeresbeständen in einfache Herrenfahrräder. Die Eigenkonstruktion war enorm gefragt und nach einem Jahr bereits ausverkauft. Hondas Aufschwung in dem zukunftsweisenden Geschäftsfeld blieb von Suzuki nicht unbemerkt. Während Soichiro Honda sein Motorradgeschäft in den darauffolgenden Jahren mit großem Erfolg erweiterte, schlug sich Suzuki mit den Gewerkschaften herum.
Erst 1951 reifte bei Suzuki die „Power-Free“ zur Serie heran. Wie Honda zuvor, bestückte Suzuki klassische Herrenfahrräder mit einem Hilfsmotor. Der 36-ccm ‚kleine‘ Einzylinder-Zweitaktmotor war das kleinste in Japan produzierte Triebwerk. Gerade einmal so stark wie ein Pferd verfügte das Hilfsmotörchen über ein Zweiganggetriebe. Die Massenfertigung begann im Frühsommer des folgenden Jahres. Bis Ende 1952 verkaufte Suzuki 10.000 Stück der „Power-Free“ – ein grandioser Erfolg für den Newcomer. Mit einem tiefen Schwerpunkt und geschickt verlegtem Auspuff geriet das Handling der Zweiradkonstruktion besser als bei Hondas „Typ-A“. Mit ungebremster Nachfrage folgte 1953 die 60 km/h schnelle „Diamond-Free“ mit 60 ccm großem und 2 PS starkem Motor. Die „Diamond-Free“ siegte sogar beim Mount-Fuji-Bergrennen, weshalb man sich bei Suzuki für eine Vergrößerung des Hubraums auf 70 ccm entschied.
Die „Colleda“ war Suzukis erster Motorrad-Meilenstein
1954 präsentierte Suzuki die „Colleda CO“ als erstes echtes Motorrad mit Einzylinder-Viertaktmotor und 90 ccm Hubraum. Im März des darauffolgenden Jahres lief die „Colleda COX“ als Nachfolgemodell mit 125 ccm OHV-Motor vom Band. Die Colleda besaß einen für die damalige Zeit modernen Pressstahlrahmen, eine Schwungrad-Magnetzündung mit automatischer Zündzeitpunktverstellung und leistete 4 PS bei 5.000 U/min. Mit einem Dreiganggetriebe ausgestattet, erreichte diese Suzuki eine Spitzengeschwindigkeit von 75 km/h. Neben den Modellen mit Viertaktmotor bot Suzuki ebenfalls unter dem Namen Colleda zwei Zweitakt-Maschinen mit 100 bzw. 125 ccm Hubraum an.
Einen weiteren Meilenstein vollzog der japanische Motorradhersteller 1956 mit der Vorstellung der neu entwickelten 250er „Colleda TT“. Mit unverkennbarem Scheinwerfer in Hufeisenform stellt diese Maschine den Vorläufer aller weiteren Viertelliter-Zweitakt-Parallel-Twins aus dem Hause Suzuki. Die quadratische Auslegung der 54 x 54 Millimeter messenden Brennräume behielten die Nachfolgemodelle von T20 über T 250 bis zur Suzuki GT 250 konsequent bei.
Die Fahrleistungen der 16 PS starken „Colleda TT“ konnten sich durchaus sehen lassen. Immerhin erreichte die Maschine eine beachtliche Spitzengeschwindigkeit von 130 km/h – und das im Jahr 1956. Voll auf der Zeit war das futuristische Design der Scheinwerfer und Blinker, welche sich ganz offensichtlich an US-amerikanischen Straßenkreuzern jener Tage orientierte. Das komfortable Vollschwingen-Fahrwerk war ein Tribut an die damaligen Straßenverhältnisse.
Mit der Colleda-Familie bewies Suzuki mal wieder sein ausgezeichnetes Gespür für technisch herausragende Produkte. Immerhin verkaufte das Unternehmen innerhalb von sechs Jahren um die 100.000 Stück dieses Bestsellers.
Von den Erfolgen angespornt, zog sich Suzuki Mitte der 1950er Jahre langsam aus der Fertigung von Webstühlen zurück und konzentrierte sich unter dem neuen Firmennamen Suzuki Motor Co. Ltd. voll auf die Produktion motorisierter Fahrzeuge. Drei Jahre nachdem die erste Colleda vom Band rollte, überließ der inzwischen 70-jährige Michio Suzuki 1957 das operativen Tagesgeschäft seinem Sohn Shunzo, stand diesem aber beratend zur Seite.
Bestseller und erste Motorsporterfolge in den wilden 60er Jahren
In den 1960er Jahren blühte das Unternehmen richtig auf. Mit immer neuen Modellen schloss Suzuki in atemberaubendem Tempo zu seinen japanischen Konkurrenten auf machte sich international einen Namen.
Mit der Suzuki T10 verkaufte das Unternehmen 1962 sein erstes Motorrad in die USA – dem damals wichtigsten Motorradabsatzmarkt überhaupt. Die T10 besaß einen 250 ccm großen Zweizylinder-Zweitakt-Motor, ein europäisches Styling und eine nicht opulente Serienausstattung. Mit ausreichend „Dampf unterm Kessel“ war die 21 PS starke Maschine ein ernstzunehmender Rivale in der Viertelliter-Klasse.
1965 legte die Nachfolgerin T 20 noch ein Schippchen darauf. Das „Super Six“ genannte Motorrad war mit einer Literleistung von 117 PS eigentlich eine verkappte Rennmaschine. Kein Wunder, dass sie beim Publikum gut ankam und begehrt gewesen ist. Als Krönung präsentierte man 1968 schließlich die Suzuki T 500. Mit 47 PS und 176 km/h Höchstgeschwindigkeit wilderte sie erfolgreich im Revier der angestammten Halbliter-Twins aus England. Die „Titan“ besaß in jenen Tagen den größten jemals verbauten Zweittakt-Motor. Mit herausragenden Fahrleistungen war die T 500 das Flaggschiff aus Hamamatsu.
Aber auch in der Schnapsglas-Klasse feierte Suzuki große Erfolge. Suzukis Renndebüt im Jahr 1960 war zwar nicht sofort von Siegen gekrönt, denn Honda setzte damals (noch) noch den Maßstab im Renngeschehen. Aber die Japaner holten sich dafür Ernst Deger als Verstärkung. Deger, der sich 1961 nicht einmauern lassen wollte und daher flink der DDR den Rücken kehrte, war zweifelsfrei der richtige Mann für Suzuki. Als begnadeter Rennfahrer und außergewöhnlicher Techniker half er 1961/1962 bei der technischen Weiterentwicklung der Suzuki-Rennmaschinen. Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten. Gleich 1962 holte sich Ernst Deger bei Motorrad-Weltmeisterschaft in der Soloklasse bis 50 ccm den Weltmeistertitel. Ein Jahr später siegte der Japaner Mitsuo Itoh bei der anspruchsvollen Isle-of-Man Tourist Trophy (TT) auf einer Suzuki RM 63 mit 49,64 ccm Hubraum. Musste Degers RM 62 noch mit 8 PS und Achtganggetriebe auskommen, brachte es die RM 63 mit 11 PS auf eine wahnwitzige Literleistung von über 220 PS und bot neun(!) Schaltstufen.
Mit Dieter Braun und Barry Sheen, um nur zwei zu nennen, waren weitere Größen des Motorrad-Rennsports später bei Suzuki unter Vertrag.
Das Export-Zeitalter brach an
Fünf Jahre nach Hondas ‚Eroberung‘ des amerikanischen Kontinents ziehen Kawasaki und Suzuki 1963 nach. Auch Suzuki wählt Los Angeles als Standort für seine Werksniederlassung und freute sich über Hondas Pionierarbeit im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Hondas Motorsporterfolge wurden in den USA ebenso positiv wahrgenommen wie seine Vertriebs- und Marketinganstrengungen unter Leitung des Amerikaners Jack McCormack. Ergo, stieß Suzuki auf einen relativ aufgeschlossenen Markt und deutlich weniger Renitenz gegenüber Motorrädern ‚Made in Japan‘.
Der ‚Nachzügler’ konnte Jack McCormack auf Anhieb für sich gewinnen und verkauft im ersten Jahr fulminante 20.000 Motorräder im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Ganz ordentlich, wenn man bedenkt, dass Honda in seinem US-Debütjahr gerade einmal 1.700 Maschinen absetzte. Wenige Jahre später liefen die Geschäfte so gut, dass Suzuki im Jahr 1971 weitere 25.000 Maschinen hätte mehr absetzen können, wäre die Produktion nicht „bereits im Juli ausverkauft [gewesen].“, wie MOTORRAD in einer historischen Ausgabe schrieb. 1970 belegte Suzuki mit einem Marktanteil von 7% einen soliden vierten Platz bei den US-amerikanischen Neuzulassungen und machte im darauffolgenden Jahr mit 10% Anteil bereits Kawasaki den dritten Rang strittig. 86% aller neu zugelassenen Motorräder in den USA entfielen auf die vier japanischen Hersteller, wovon alleine Honda und Yamaha 67% auf sich vereinten. Die Platzhirsche von einst, BSA und Triumph, waren mit zusammen 4% weit abgeschlagen.
In Deutschland machte Fritz Röth Suzuki groß
Einer der ganz Großen im Motorradgeschäft war Fritz Röth aus Hammelbach im Odenwald. In die Fußspuren seines Vaters folgend, organisierte er schon in frühen Jahren den Deutschlandvertrieb für Hersteller wie NSU, Honda und Moto Guzzi. Die steigenden Absatzzahlen des Moto Guzzi Generalimporteurs blieben den Japanern nicht verborgen. „Die haben die Märkte aktiv beobachtet und alles verfolgt“, erzählte Fritz Röth im Gespräch mit Nippon-Classic.de.
Der Schweizer Importeuer Wildberger stellte dann den Kontakt zwischen Hammelbach und Hamamatsu her. Mit der Importlizenz gerüstet, rollte Fritz Röth ab 1964 für Suzuki den deutschen Markt auf. Da das Unternehmen aus allen Nähten platzte, gründete FRITZ RÖTH 1976 in Heppenheim die Suzuki Deutschland GmbH. Mit glänzenden Augen berichtet er aus jenen Tagen:
„Das war eine ganz hervorragende Zusammenarbeit mit Suzuki, die war vorbildlich. Alle technischen Fragen wurden gelöst und es gab nie Probleme. Ich war jährlich zwei- bis dreimal in Japan oder die Suzuki-Leute waren hier. Wir haben an Fahrwerksverbesserungen und der Modellpflege mit geholfen. Am Motor hatten wir wenig zu tun. Aber die Fahrwerksstabilität war immer ein Thema. ‚Den Japanern wurde ja immer nachgesagt, der Motor ist schneller als das Fahrwerk‘.“
Fotos:
http://creativecommons.org/publicdomain/zero/1.0/deed.en (Dr. Bernd Gross)
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